Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1972 Biologisch-dynamische Wirtschaftsweise<br />
3. Juni<br />
Das Buch von dem Doktor Heim 13 ist wohl so eine Art bio-<br />
graphischer Roman. Man sollte ein sehr altes Buch wieder auf-<br />
legen, in dem vor vielen Jahren gesammelte Anekdoten un-<br />
ter dem Titel „Der alte Heim“ 14 zu finden waren und das leider<br />
nicht mehr zu bekommen ist. (Beispiel: Eine alte Dame, von Mi-<br />
gräne geplagt, kommt zu Heim mit der Frage, ob es richtig sei<br />
– wie ihr geraten worden – Sauerkraut auf den Kopf zu legen<br />
als Heilmittel. Und er antwortet: „Ich würde dann noch eine<br />
Bratwurst darüber legen.“) Dieser Arzt ist ein berühmtes Berli-<br />
ner Original gewesen, das ist eine <strong>aus</strong>gestorbene Menschenart;<br />
an die Stelle dieser phantasievollen Köpfe traten Apparate und<br />
Karteien, in denen kein Platz für Spaß und Humor ist. (Halte<br />
also Bratwurst im Medikamentenschranke im Vorrat!)<br />
6. Juni<br />
Ein Kurzbericht über biologisch-dynamische Wirtschafts-<br />
weise belebte Erinnerungen an die zwanziger Jahre, als<br />
Schwarz in Worpswede 15 damit begann. Die Sache scheint sich<br />
weiter zu entwickeln, trotz der bedeutenden Hindernisse, die<br />
sich da entgegenstellen. Die Sache ist sehr interessant, bedau-<br />
erlicherweise bin ich zu alt, sonst würde ich mich recht gern<br />
mit dieser Kulturform befassen. Da hat einer in Blaubeuren eine<br />
Methode gefunden, Müll in hochwertigen Kompost zu verwan-<br />
13 Gemeint ist der Roman des DDR-Autors Ernst Keienburg, Doktor Heim, Berlin 1969.<br />
14 Das Buch über den Berliner Arzt Ernst Ludwig Heim (1747–1834) gab 1846 Georg<br />
Wilhelm Keßler her<strong>aus</strong>.<br />
15 Der Anthroposoph Max Karl Schwarz (1895–1963), Maler und Gartenarchitekt, er-<br />
warb 1923 den Birkenhof und anschließend den Barkenhof in Worpswede und<br />
richtete dort <strong>aus</strong>gehend von den Ideen Rudolf Steiners auf Grundlage der bio-<br />
logisch-dynamischen Wirtschaftsweise eine Demeter-Gärtnerei ein. <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong><br />
kannte vermutlich seine Veröffentlichungen in der Gartenschönheit, etwa den<br />
Aufsatz Der Gartenorganismus von 1933. Vgl. Charlotte Reitsam, Das Konzept der<br />
„bodenständigen Gartenkunst“ Alwin Seiferts, Frankfurt am Main u.a. 2001.<br />
deln, mit dem er so <strong>aus</strong>gezeichnete Erfolge hat, daß gärtneri-<br />
sche Betriebe, trotz der Transportkosten, solchen Kompost <strong>aus</strong><br />
100 Kilometer Entfernung holen. Da nun die Müllbeseitigung<br />
den Städten schweres Kopfzerbrechen macht, ist es denkbar,<br />
daß von dieser Seite her diese Kompostbereitung einen Auf-<br />
schwung erlebt, den niemand ahnen konnte. Das ist eine Art<br />
von „Goldmacherei“.<br />
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11. Juni<br />
Es wird sehr von mir bedauert, daß Du heute nicht hier den<br />
„Messias“ von Händel in der Kirche hörtest. Hier hat der Kan-<br />
tor Ihl 16 ein Meisterstück geboten. Denn es gehört schon etwas<br />
dazu, einen Chor von etwa 70 Sängern erstmal zusammenzu-<br />
bringen und mit ihm das Werk einzuüben; dazu ein Orchester,<br />
das sehr sauber und genau spielte und einige Solisten. Zwei<br />
Dutzend Autos und ein Omnibus <strong>aus</strong> Mügeln standen vor der<br />
Kirche; von dieser kleinen Stadt hatte er eine Ergänzung des<br />
Chores herangeholt. Schön war es auch, daß sich eine große<br />
Zuhörerschaft eingefunden hatte. So viele Leute fanden sich<br />
in der Kirche wohl lange nicht zusammen, dieses Werk zu hö-<br />
ren, das Händel 1742 in 24 Tagen geschrieben und zum ers-<br />
ten Male in Dublin vorgetragen hatte und von dem an die Lon-<br />
doner, die es nach dem großen Erfolge in Irland erst später zu<br />
hören bekamen. Das war der eigentliche Beginn von Händels<br />
Anerkennung in London, wo er dann immer wieder gewünscht<br />
wurde, so daß Händel einem Waisenh<strong>aus</strong>e in London von den<br />
Einnahmen nach und nach eine viertel Million Goldmark über-<br />
weisen konnte.<br />
16 Wolfgang Ihl, Kantor und Leiter des Kirchenchores an der Stadtkirche St. Nicolai in<br />
<strong>Waldheim</strong> seit 1960. Außer dem Messias wurden unter seiner Leitung u.a. auch<br />
das Weihnachtsoratorium und die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach<br />
aufgeführt.