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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1964 Leipziger Messe<br />

In der Zeitung war zu lesen, daß der Leibwächter von Ade-<br />

nauer und Erhard, der ihn auf allen Reisen begleitete, verhaf-<br />

tet werden mußte, wegen früherer Judenmorde, und sich in der<br />

Zelle umgebracht habe.<br />

Es ist wirklich eine herrliche Zeit, in der wir leben. Dieses<br />

20. Jahrhundert ist eins der dunkelsten.<br />

23. Februar<br />

In Goethes „Maximen und Reflexionen über Kunst“ steht<br />

der bemerkenswerte Satz: „Das Schöne ist eine Manifesta-<br />

tion geheimer Naturgesetze, die uns ohne dessen Erscheinung<br />

ewig wären verborgen geblieben.“ 8 Damit hat er wieder ins<br />

Schwarze getroffen. Denn das Grundgesetz der Kristallbildung<br />

[ist], daß alle von den Begrenzungsflächen bewirkten Achsen-<br />

abschnitte untereinander in einem einfachen rationalen Ver-<br />

hältnis stehen. Oder umgekehrt: Eine Fläche, die keine rationa-<br />

len Indices hat, ist eine kristallographisch unmögliche Fläche.<br />

Damit wird das Gesetz von der Konstanz der Kantenwinkel be-<br />

stätigt. Diese innere Gesetzlichkeit des Aufb<strong>aus</strong> der Kristalle ist<br />

die geheime Ursache davon, daß uns die Form der Kristalle be-<br />

zaubert – auch den, der von diesen Verhältnissen nichts ahnt<br />

und weiß. Woher es oft kommen mag, daß man die Regelmä-<br />

ßigkeit schöner Kristallformen für künstlich hergestellte Ge-<br />

bilde hält, weil wenige diesen Zusammenhang ahnen oder be-<br />

greifen. Und im Aufbau einer Blüte, eines stachligen Kaktus,<br />

einer Musik sind ähnliche Gesetze wirksam. – Um so unbegreif-<br />

licher wird dann der menschliche Wirrwarr, wie er sich in jeder<br />

Zeitung spiegelt.<br />

11. März<br />

Jede dieser Blüten der Amaryllis hat ihre Zeit, nach der sie<br />

wieder vergeht. Die Du bei mir sahst, war da auch schon et-<br />

8 Hecker: 183<br />

was über ihren Höhepunkt. An ihrer Stelle steht jetzt die kleine<br />

Zwiebel mit zwei Knospen, deren erste sich gerade öffnet. Und<br />

Dir bringe ich nächste Woche wieder eine mit zwei Blütenknos-<br />

pen, an deren Entwicklung Du Dich einige Zeit freuen kannst.<br />

Daß dieses Aufblühen reihenweise nacheinander erfolgt, hat<br />

doch sein Gutes. Ich kann da immer mal Dir einen Spaß ma-<br />

chen. Das ist in diesen Monaten doch ganz schön gelungen.<br />

Die abgeblühten Töpfe nehm ich wieder zurück in das Som-<br />

merquartier. Das ist überhaupt ein Verbesserungsvorschlag für<br />

Blumenhändler: Blüten<strong>aus</strong>leihstation. Viel besser als Handel;<br />

denn wie oft mögen gute Pflanzen, bloß weil sie verblüht sind,<br />

in den Müll wandern, obwohl sie in den folgenden Jahren noch<br />

schöner blühen könnten, wenn sie die ihnen gemäße Pflege<br />

hätten, die in vielen Fällen gar keine Mühe macht, sondern nur<br />

ein wenig Aufmerksamkeit verlangt. – Schneeglöckchen – die<br />

auch in die Gruppe der Amaryllisgewächse gehören – sind hier<br />

noch nicht weiter als zu der Zeit, da Du hier warst, hier und da<br />

guckt eine Spitze her<strong>aus</strong>, noch unzufrieden mit der Temperatur,<br />

die den Schnee noch nicht völlig beseitigt hat.<br />

Daß *** „Messebesucher“ ist! Ich staune nur. Denn die<br />

[Leipziger] Messe ist doch erstens nur Warenschau für das Aus-<br />

land, da die hiesigen Einzelhändler dort nicht einmal Bestellun-<br />

gen aufgeben können, sondern an ein Handelskontor verwie-<br />

sen werden. Und zweitens – und hauptsächlich – ist sie „Fa-<br />

milientag“ von Leuten <strong>aus</strong> Ost und West, die da ohne größere<br />

Paßschwierigkeiten sich einmal wiedersehen. Dadurch wird au-<br />

ßerdem der Eindruck der „Fülle“ verstärkt, wird gesorgt, daß<br />

die Gasth<strong>aus</strong>stühle nicht <strong>aus</strong>kühlen. Der „kolossale Andrang“<br />

gilt also weniger den <strong>aus</strong>gestellten Dingen als der Begegnung<br />

mit Freunden und Verwandten. In der Zeitung steht das nicht.<br />

Ich setze es nicht hinein.<br />

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