Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1966 Mitschuldige?<br />
er gestohlen werden wird. „Heiß mich nicht reden, heiß mich<br />
schweigen“ 8 . Es könnten Flüche laut werden, die in der gesam-<br />
ten Weltliteratur noch unbekannt sind.<br />
12. März<br />
Martin Buber ist in dem Hesse-Briefband mehrfach vertre-<br />
ten (ein Register fehlt, weshalb ich gleich mal den ganzen Band<br />
durchlas). Es ist auch ein Schreiben Hesses an die Schwedi-<br />
sche Akademie abgedruckt, in dem Hesse den Buber für den<br />
Nobel-Preis vorschlägt. Das Ergebnis dieser Lektüre von Brie-<br />
fen, die teilweise „Trostbriefe“ waren, ist die Einsicht in das<br />
Trostlose der Weltlage. Der mehrfach hörbare Vorwurf, daß „wir<br />
alle“ die Nazigreuel verschuldet und unser Schicksal verdient<br />
haben, läßt darauf schließen, daß die damalige Zwangslage je-<br />
des Deutschen denen, die von ferne zusahen, nicht vorstell-<br />
bar gewesen ist, obwohl gerade Hesse nicht schlecht infor-<br />
miert wurde. Selbst seine Dichterphantasie reichte nicht <strong>aus</strong>,<br />
sich das Reale vorzustellen. Und warum haben denn die from-<br />
men Engländer, die frömmelnden Amerikaner, die geschäfts-<br />
tüchtigen Schweizer, die bedauernswerten Franzosen erst von<br />
1933–1939 zugesehen, wie die Verknechtung Deutschlands ra-<br />
send um sich griff, wie die „Wehrmacht“ aufgebaut wurde, wie<br />
man den Luftschutz und das Hungern übte? Im Jahre 1933 war<br />
die Gelegenheit noch da, das Drohende mit Mitteln zu ersti-<br />
cken, die viel geringer gewesen wären als der lange Krieg. Man<br />
labte sich am Gruseln, das die Berichte der ersten Emigranten<br />
hervorriefen, die man dann nach und nach als „lästig“ immer<br />
weiter reichte. Auch Hesse ist hier unzureichend informiert. Als<br />
es noch so <strong>aus</strong>sah, daß „nur“ die Deutschen zu leiden hatten,<br />
sah man das mitleidig lächelnd an, teilweise ungläubig, aber<br />
im Gefühle der eigenen Sicherheit, als dann die bisherigen Zu-<br />
8 Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Fünftes Buch, Sechzehntes Kapitel.<br />
schauer etwas abkriegten, da war der Teufel los, und die be-<br />
reits sechs Jahre gequälten Deutschen wurden als „Mitschul-<br />
dige“ der Hauptverbrecher verdammt. Freilich, wir hätten uns<br />
alle in die Konzentrationslager schleppen und vergasen las-<br />
sen sollen, an denen man mit genauer Not gerade noch vorbei<br />
kam. Das wäre für uns besser gewesen. 9<br />
178 179<br />
14. März<br />
Heute kam die Post erst gegen 12h mittags. Die Eltern be-<br />
suchte ich gestern in Kriebethal und fand beide recht munter.<br />
Dein Vater fühlt sich natürlicherweise noch etwas schwach; wer<br />
wäre das in diesem Alter nicht? Er lieh mir ein Heft über das<br />
Königliche Krankenstift Zwickau, verfaßt von dem Prof. Braun 10 ,<br />
erschienen 1912. Das ist eine sehr interessante und wertvolle<br />
Arbeit, die ich gleich gestern durchlas. Da der Prof. Braun der<br />
Mann ist, von dem Dein Vater 11 <strong>aus</strong>gebildet wurde, werde ich<br />
mir von ihm nächsten Sonntag diktieren lassen, welche Einze-<br />
lerinnerungen noch lebendig sind und diese dann zusammen<br />
schreiben und mit dem Berichte von Braun zu einem kleinen<br />
Bändchen verbinden. Die Sache ist der Mühe wert – und zu-<br />
gleich mache ich Deinem Vater einen Spaß damit. Ich schick<br />
ihm heute ein paar Zeilen mit der Bitte, sich im Laufe der Wo-<br />
9 Von 1941–1943 lief ein Verfahren gegen <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong> wegen „Herabsetzung des<br />
deutschen Wesens“ und englandfreundlicher Haltung. Im Urteil wurde auf die<br />
Verwarnung der Gestapo Chemnitz hingewiesen, den Beschuldigten im Wiederho-<br />
lungsfall in Schutzhaft zu nehmen.<br />
10 Heinrich Braun (1862–1934), Chirurg, 1906 Leiter des Königlichen Sächsischen Kran-<br />
kenstifts in Zwickau, vgl. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der<br />
letzten fünfzig Jahre. Bd. 1, Berlin, Wien 1932, S. 165; Die Medizin der Gegenwart<br />
in Selbstdarstellungen. Bd. 5, Leipzig 1925, S. 1.<br />
11 Der Sanitätsbeamte Georg Sauer erhielt seine Ausbildung als Assistent, Röntgenas-<br />
sistent und Laborant bei Heinrich Braun in Leipzig und in der Anstalt für Epilep-<br />
tiker in Hochweitzschen. Ab 1918 war er in der Heil- und Pflegeanstalt im Zucht-<br />
h<strong>aus</strong> <strong>Waldheim</strong> tätig. Nach seiner Pensionierung führte er eine sehr gesuchte Pri-<br />
vatpraxis in <strong>Waldheim</strong>.