Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1972 Gespräche mit Max Josef Metzger<br />
22. Juni<br />
Herrn Mittag traf ich, beladen – war er – mit Salatköpfen,<br />
Radieschen und dergleichen! Das ist doch komisch, daß die<br />
Leute vom Dorfe in der Stadt die Dorfgewächse einkaufen müs-<br />
sen, weil es „in Kriebethal nichts gibt!“ Außerdem trägt er die<br />
Waren <strong>aus</strong> dem Kreise Döbeln über die Grenze in den Kreis<br />
Hainichen! Ohne Zoll zu bezahlen. Welche wirtschaftlichen Ver-<br />
wirrungen das anrichten muß! Ein Kopf Salat kostet noch 35<br />
Pfennige statt eines Fünfers wie früher, also das siebenfache.<br />
Aber „man darf nicht vergleichen“. Was müssen die Leute frü-<br />
her gesündigt haben, daß sie so niedrige Preise zahlen muß-<br />
ten. Oder ist der jetzige Salat wertvoller? Freilich, damals wußte<br />
man noch nicht die Lehre von den Vitaminen, und für die Glau-<br />
benslehren muß gezahlt werden.<br />
3. Juli<br />
Daß die Wirklichkeit der Französischen Revolution den<br />
Jean Jacques Rousseau – der sie geistig vorbereiten geholfen<br />
– schwer enttäuscht und ihn vielleicht sogar auf die Guillotine<br />
gebracht hätte, ist höchstwahrscheinlich. Sein „Emile“ gibt das<br />
Beispiel einer im Grunde aristokratischen – oder wie man heute<br />
sagen würde – elitären Erziehung; dagegen läuft heute der<br />
„Trend“ in dem Vektor der Massendressur. Jene Bemühungen<br />
strebten danach, die Fähigkeiten des Einzelnen zu beobachten<br />
und zur Entwicklung zu bringen; man ging also vom Vorhande-<br />
nen <strong>aus</strong> – heute hat man andere Ziele: homogene Massen für<br />
vor<strong>aus</strong>bestimmte Zwecke abzurichten. Statt „Berufswahl“ nach<br />
Begabung und Neigung gibt es „Berufslenkung“ auf den „ge-<br />
sellschaftlichen Bedarf“ hin.<br />
5. Juli<br />
Gestern übertrug man, leider nicht vollständig, die köstliche<br />
Schulmeister-Kantate von Telemann, die wir einmal in der Nasch-<br />
marktbörse hörten. Schon lange suchte ich hier die Schallplatte<br />
zu beschaffen, die man zwar nicht im Paket schicken aber im<br />
Koffer mitnehmen kann. Sie ist offenbar hier nicht erschienen.<br />
„Wer die Musik nicht gerne höret,<br />
wer diese Kunst nicht liebt und ehret,<br />
der ist und bleibt ein Asinus:<br />
i – a – i – a – ein Asinus!“<br />
328 329<br />
12. Juli<br />
Gewiß – man wird sparsamer im Kaufen von Büchern, ich<br />
bestellte mir trotzdem eine Dokumentation über das Leben ei-<br />
nes katholischen Klerikers, Metzger, der von den Nazis umge-<br />
bracht wurde. 17 Ich hab mit ihm 1920 in Steiermark etwa zehn<br />
Tage lang jeden Morgen von 6–8 Spaziergänge um eine große<br />
Wallfahrtskirche gemacht und diesen Mann sehr schätzen ge-<br />
lernt. In etwa einer Woche soll ich das Buch haben, wie mir<br />
H[err] Münch versicherte. Hoffentlich ist die Auflage nicht be-<br />
reits vergriffen; das ist ja meist der Fall: man erfährt etwas von<br />
der Existenz eines Buches erst, wenn es nicht mehr existiert.<br />
Gestern ging ein langer, elegant gekleideter Herr über den<br />
Friedhof, ein Fremder, den ich beim Kragen nahm und ihn zu<br />
dem Kinde von Georg Kolbe führte, wo er staunend hörte, was<br />
ich ihm da kurz zu berichten hatte. Keiner von uns weiß, wer<br />
der andre war.<br />
17 Kl<strong>aus</strong> Drobisch, Wider den Krieg. Dokumentarbericht über Leben und Sterben des<br />
katholischen Geistlichen Dr. Max Josef Metzger, Berlin (DDR) 1970. Die Begeg-<br />
nung zwischen Max Josef Metzger (1887–1944) und <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong> könnte 1925<br />
auf der Konferenz des Internationalen Versöhnungsbundes in Gaming (Österreich)<br />
stattgefunden haben, an der Metzger, der Gründer des Friedensbundes deutscher<br />
Katholiken, teilnahm. Wegen seines Programms für ein demokratisches, soziales,<br />
entmilitarisiertes friedliebendes Gemeinwesen nach der Entmachtung Hitlers, der<br />
Bestrafung der Schuldigen und Enteignung des Großgrundbesitzes wurde er 1943<br />
verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und 1944 in Brandenburg-<br />
Görden hingerichtet.