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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1969 Adalbert Stifter<br />

26. Juli<br />

Christian gab mir einen Roman von Alfred Wellm zu lesen:<br />

„P<strong>aus</strong>e für Wanzka“. Es ist eine Geschichte um ein Lehrerkolle-<br />

gium neuer Art. Nach dieser Lektüre bin ich froh, mit diesen Sa-<br />

chen nichts mehr zu tun zu haben. Ich wäre dem nicht gewach-<br />

sen. An solcher Literatur merke ich mal, in wie hohem Grade<br />

ich veraltet bin.<br />

4. August<br />

Daß dem Nixon bei seiner „Reise um die Welt in zwölf<br />

Tagen“ alles Äußerliche abgenommen werde, ist nur in Ord-<br />

nung. Er bleibt trotzdem ein kühner Luftfahrer, der nicht wis-<br />

sen konnte, aber für möglich halten mußte, jeden Augenblick<br />

einem gedungenen Mörder zum Opfer zu fallen und der die-<br />

ses Wagnis in einem höchst kritischen Zeitpunkte dennoch ge-<br />

bracht hat. Was hier geschah, war eine höchst bedeutsame<br />

Tat der ganzen bisherigen Geschichte, wenn das auch von den<br />

wenigsten erkannt oder gar gewürdigt wird. Hier schon über-<br />

haupt nicht. (Diese Sache darfst Du im „Gespräch“ nicht beto-<br />

nen, denn die Leute verstehen das nicht!) Aber es ist gut, zu<br />

wissen, daß man ein großes historisches Ereignis als Zeitge-<br />

nosse erlebte.<br />

13./14. August<br />

Die „Gammler“ in den westlichen Ländern könnten sich auf<br />

ihre Ahnen besinnen, die etwa auf Sokrates und die Kyniker<br />

des Altertums zurückreichen und in den Bettelmönchen des<br />

Mittelalters zu erkennen sind, Leute, die mit einem drastischen<br />

Auftreten die „Werte“ der Gesellschaft in Frage stellen.<br />

Schönen Dank für Deine Zeilen! Ganz richtig, auch am Be-<br />

ginn einer wissenschaftlichen Entdeckung steht eine Idee, eine<br />

phantasiegeborene Intuition, deren „Richtigkeit“ dann mit den<br />

Mitteln des Verstandes, der Mathematik, den Experimenten,<br />

der logischen Überlegung, der technischen Gestaltung bewie-<br />

sen wird. Am Anfang steht Platos „Sichwundernkönnen“. Beide<br />

– der Künstler und der Gelehrte – schöpfen <strong>aus</strong> demselben<br />

Brunnen. Das „Staunen“ steht am Anfang der genialen Leis-<br />

tung. Das unterscheidet vom Ban<strong>aus</strong>en, vom Spießbürger, vom<br />

Philister: daß eben diese Kategorie sich über nichts wundert.<br />

Durch einen langweiligen Unterricht wird das den Kindern nach<br />

und nach verschüttet – bis sie Spießer werden, die Tingeltan-<br />

gelmusik jedem Mozart vorziehen.<br />

Gestern abend las ich mal wieder Adalbert Stifter, „Nach-<br />

kommenschaften“. Welch eine friedliche Welt wird da sichtbar.<br />

Erlebnis und Wunschbild durchdringen einander. Die dargestell-<br />

ten Menschen erscheinen so lebendig, daß man sie vor sich<br />

sieht, selbst Nebengestalten, die mit wenigen Worten geschil-<br />

dert werden. In der Landschaft wandert man mit umher, ge-<br />

nießt die Luft des Gebirges und kann sich die Anstrengungen<br />

einer Reise sparen.<br />

Mit heute erscheinender Literatur ist das Sonderbare ver-<br />

bunden, daß sie möglichst trübselig und auf keinen Fall erfreu-<br />

lich sei – diesen Zustand sucht man nicht – ich nicht.<br />

26. August<br />

Ich las gestern abend noch so 40 Seiten in einem Ro-<br />

man von Kellermann, „Der Tunnel“, der mir geliehen wurde,<br />

ich glaube kaum, daß ich das weiter lese. Das Buch wird als<br />

„gesellschaftskritisch wichtig“ bezeichnet – solche Sachen<br />

sind meist dick aufgetragen, <strong>aus</strong> der Tube gemalt. Wozu soll<br />

man sich Zeit und Laune verderben, Meinungen von Literaten<br />

über wirkliche oder vermeintliche Übelstände zu lesen? Oder<br />

ist meine Auffassung eben doch nur ein Fehler, der sich <strong>aus</strong><br />

der wachsenden Beschränktheit des Alters herschreibt? Dann<br />

kann ich das auch nicht ändern; nur wenige werden solcher Zu-<br />

standsveränderung entgehen. Ich bin schon zufrieden damit,<br />

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