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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1964 Der Salon der Großmutter<br />

eingezwängt in das Infinite des Systems der Naturgesetze.“<br />

Das trifft nicht immer zu. Ich habe eine kleine Gruppe Quarz-<br />

kristalle, da stecken an der Seite ein paar ganz kleine Pyrite.<br />

Diese zeigen sich oft als Würfel, während der Quarz sechsseitig<br />

sich <strong>aus</strong>bildet. Hier haben aber einige Quarzkristalle die Wür-<br />

felform des Pyrits angenommen, sie erlauben sich einen Witz<br />

und treten maskiert auf, d.h. sie bieten, wie ein Witz, das Nicht-<br />

erwartete. An einem andern Stück ahmt Quarz die Kristallform<br />

des Schwerspates nach. Das gibt es also doch. Hier haben wir<br />

das „Modulieren“.<br />

21. November<br />

Von der „Gewerkschaft Unterricht u. Erziehung“ werden die<br />

„Lehrerveteranen“ für Mittwoch, d. 9. Dez. von 13–16 Uhr zu ei-<br />

nem Farb-Lichtbildervortrag eingeladen, im Klub der Intelligenz<br />

in Döbeln. Es ist leider nicht gesagt, wo sich dieser Klub in dem<br />

lang <strong>aus</strong>gedehnten Döbeln finden wird. Na, das wird sich noch<br />

feststellen lassen. Vielleicht geh ich mal hin, wenn es auch nur<br />

dazu dient, dem „Gewerkschaftssekretär“ einen Schein seiner<br />

Daseinsberechtigung zu geben. Wie sich doch dieses Wesen<br />

aufgebläht hat: Vor 1933 hatten wir für den gesamten Sächsi-<br />

schen Lehrerverein zwei von dem Verein angestellte Kollegen<br />

in Dresden, und dabei hatte der Sächsische Lehrerverein noch<br />

viele Funktionen, die er heute nicht mehr hat: eine wöchentlich<br />

erscheinende Fachzeitung, eine Kranken- und Begräbniskasse,<br />

eine Feuerversicherung, eine Haftpflichtversicherung und noch<br />

so und so viele Fach<strong>aus</strong>schüsse. Das ist doch heute alles nicht<br />

mehr da. Aber die „Sekretäre“ haben sich vervielfacht.<br />

9. Dezember<br />

Heute fuhr ich 9 40 mit Bahn nach Döbeln, besorgte einiges,<br />

speiste im Ratskeller – leider ohne Dich – begab mich dann in<br />

den „Club der Intelligenz“, sah und hörte einen Lichtbildervor-<br />

trag über Leipzig (mit mancherlei Unsinn), wurde mit 2 Tassen<br />

Kaffee, 1 St. Stollen, 1 St. Torte, 3 Zigarren, 1 Glas Wein abge-<br />

füttert. Ich traf da Frau Nowakowski 19 , von der ich Dich recht<br />

herzlich grüßen soll. Auch den alten Schulleiter [Rudolf] Mül-<br />

ler – der von meinem Dresdener Kasten 20 ist, eine Klasse un-<br />

ter mir – fand ich vor. Die Frau Nowakowski ist auch „in Rente“<br />

gegangen, weil sie sich der neusten Schulreform nicht gewach-<br />

sen fühlte. Da ist eine Woche um die andre „Unterricht“, jede<br />

zweite Woche ist „Produktion“, wobei das wieder vergessen<br />

wird, was in der Unterrichtswoche erarbeitet wurde. Das findet<br />

in dieser Form nur in Sachsen statt, als einem Experimentierge-<br />

biet für Schulreform. In der übrigen DDR geht der Schulbetrieb<br />

fortlaufend wie früher. Wahrscheinlich traut man den „hellen<br />

Sachsen“ zu, daß sie solche Versuche vertragen.<br />

23. Dezember<br />

Nun muß ich meine Trödelbude in Ordnung bringen, das<br />

wird höchste Zeit. Staub ist allgegenwärtig wie der Heilige<br />

Geist, und wo gearbeitet wird, kann es nicht wie „Salon“ <strong>aus</strong>-<br />

sehen, so etwas gab es früher. Meine Großmutter 21 hatte noch<br />

einen Salon, mit großem Prunkspiegel vom Fußboden bis zur<br />

Decke des sehr hohen Zimmers, mit Möbeln von rotem Samt<br />

und vielfach ornamental geschnitztem pechschwarzen Holze,<br />

Ölbildern und Photos <strong>aus</strong> den Anfangszeiten der Photographie<br />

19 Die Englischlehrerin Elisabeth Nowakowski war in den 50er Jahren <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>s<br />

Kollegin an der Lessing-Oberschule in Döbeln.<br />

20 Gemeint ist das Lehrerseminar in Dresden-Friedrichstadt.<br />

21 <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>s Großmutter, in der Familie „die Renkern“ genannt – sie hatte ei-<br />

nen Schuhmacher namens Renker geheiratet – war nach den Erzählungen der<br />

Schwester <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>s zeitweilig Gesellschaftsdame eines russischen Barons<br />

und lebte wechselweise in Dresden und St. Petersburg. Deren Mutter, die Urgroß-<br />

mutter <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>s, war die ehemalige Hofdame am sächsischen Hof Henriette<br />

von Pflugk, die einen Bürgerlichen, den Kapellmeister Winkler, geheiratet hatte, s.<br />

auch <strong>Briefe</strong> vom 13. Juli 1961, 18. Dezember 1968 und 4. Januar 1969.<br />

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