Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1975 Krieg als Geschäft<br />
26. August<br />
Das <strong>aus</strong> dem Wiener Verlag stammende Liederbuch ge-<br />
hört zu den besten Sachen dieses Gebietes; leider wird es hier<br />
kaum mehr zu bekommen sein, wie alle guten Druckwerke. Die<br />
„Wiener Schulreform“ in den ersten zwanziger Jahren nach dem<br />
1. Weltkriege brachte viele sehr schöne Sachen hervor, auch<br />
auf künstlerischem Gebiete. Wien–Sachsen–Hamburg, das wa-<br />
ren damals die Orte, an denen der Aufschwung der Schule vor-<br />
anging. In Göttingen baute man geschickt erdachte Lehrmittel,<br />
das war eine recht schöne Zeit.<br />
27. Oktober<br />
Der Besuch eines früheren Schülers <strong>aus</strong> Döbeln [Fritz Mie-<br />
rau], der von Berlin kam, war recht erfreulich. Er arbeitet als<br />
Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er war gerade zu ei-<br />
ner „Tagung in Weimar“ gewesen und hielt die Wanderungen,<br />
die er vor den Verhandlungen früh von 7–9 Uhr allein durch<br />
den Weimarer Park gemacht, für den besten Ertrag der Veran-<br />
staltung. Er hatte begriffen, daß dieser Park ein lebendes Werk<br />
Goethes ist, auch daß eine Parkanlage in die Zukunft gerichtet<br />
ist; denn dem Pflanzer steht ein in Jahrzehnten zu erwartendes<br />
Bild der Landschaft vor Augen. „Jetzt nur Stangen, diese Bäume<br />
/ Geben einst noch Frucht und Schatten.“ 6<br />
Außer einem Zettel, auf dem vermerkt ist, daß jede Gas-<br />
stelle jederzeit zugänglich sein soll, kam nichts und niemand;<br />
man hat also auf Kommando immer zu H<strong>aus</strong>e zu sein. Von Gas<br />
oder von Reparaturleuten ist keine Spur zu finden; sie drehten<br />
bisher nur die Hauptleitung ab. Wenn solches den Elektrikern<br />
und den Wasserleuten auch noch einfallen sollte, kann man<br />
sich noch mehr in Anspruchslosigkeit üben. Das Leben bleibt<br />
ein dauernder Erziehungsvorgang.<br />
6 Aus Goethes Gedicht Hoffnung.<br />
28. Oktober<br />
Krieg, Kriegslieferungen (eine ganz wichtige Sache, die Mil-<br />
lionen „Arbeit und Brot“ bringt), tägliche Berichte über die<br />
Herzanfälle eines großen Verbrechers 7 , Fußballsiege, Gebrüll<br />
der 65 000 Zuschauer bei einem Fußballspiel, Türkei bekommt<br />
von USA für 17 Milliarden Dollar Waffen geliefert, vielleicht er-<br />
halten deren Gegner die ähnlichen Lieferungen, falls sie Dollar-<br />
milliarden haben – so und so weiter laufen die Meldungen rund<br />
um den Globus. Blind sind die meisten, die <strong>aus</strong> dem Getöne<br />
nicht den Untergang her<strong>aus</strong>hören. Aber in einem kleinen Gar-<br />
ten unten an der Turmstraße blühen noch jetzt Rosen und Dah-<br />
lien, ohne vom Frost beschädigt zu sein; kommen Eichhörn-<br />
chen und Vögel an den Futterplatz an meinem Fenster, wer-<br />
fen die durch das Geäste des Baumes hüpfenden Vögel schöne<br />
Schattenbilder auf meinen Vorhang. Eben sitzen wieder Eich-<br />
hörnchen mit buschigem Winterpelzchen vor mir. Man muß bei-<br />
des sehen: das Schöne in der Natur und die unerquicklichen<br />
Streitereien in der sogenannten Menschenwelt, die im heiligen<br />
Lande ihre Waffen gegeneinander abschießen und amerikani-<br />
schen Rüstungsgeschäften zu hohem Gewinn verhelfen – eine<br />
Narrenwelt, deren die großen Gelder gewinnenden Drahtzieher<br />
im Dunklen bleiben. Redet doch mal einer, dann erschrickt man<br />
ob der geistigen Dürftigkeit, mit der die Welt „regiert wird“.<br />
7305 <strong>Waldheim</strong> in Sachsen, den 6. November<br />
(ehedem „Königreich Sachsen“, in dem Dresden „Haupt-<br />
stadt u. Residenzstadt des Kgr. Sachsen“ hieß)<br />
Zum Bestehen der Fahrprüfung meinen Glückwunsch. Ich<br />
erinnere mich an die, die ich etwa 1936 oder 1937 ablegte. Der<br />
Prüfer, ein gefürchteter Dr. ing. von den Chemnitzer Staatslehr-<br />
anstalten, fuhr mich an, warum ich den Wagen auf der Straßen-<br />
7 Gemeint ist der spanische Diktator Francisco Franco (1892–1975).<br />
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