Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1964 Vom Staunen<br />
len. Wenn man auch die Art angeben kann, bleibt die Ortsbe-<br />
zeichnung sehr schwierig. Ausstellungstechnisch möchte alles<br />
so gut wie möglich sein. Zu diesem Behufe fahre ich morgen<br />
früh mal nach Freiberg, um mich wieder mal im Museum der<br />
Bergakademie umzusehen, wo wohl die Sachen am besten auf-<br />
gestellt sind, zumal eben eine internationale Bergingenieurta-<br />
gung gewesen ist.<br />
1. Juni<br />
In der Schule erhielt ich ein Mittagessen und ein Kännchen<br />
Mokka von der Art, wie wir ihn in dem Kaffeestübl am Wieland-<br />
platze in Weimar hatten. Heute bin ich ein Stück vorgerückt<br />
mit der Arbeit. Es ist für mich eine Art kristallographisch-mine-<br />
ralogisch-petrographischen Praktikums, bei dem ich sehe, ob<br />
ich was gelernt habe und bei dem ich noch einiges hinzulerne.<br />
Man muß sich nur erst durch das Dickicht der Verwirrung ei-<br />
nen Weg bahnen. Da sind eine Menge Kalkspate <strong>aus</strong> den Kalk-<br />
gruben nördlich von Döbeln, schöne Stücke darunter. Da sind<br />
Reste zur Geologie des mittelsächsischen Gebietes, die vermut-<br />
lich auf Dr. Herrmann 14 zurückgehen, und was noch alles zu<br />
Tage treten wird, muß sich noch zeigen.<br />
9. Juni<br />
So, da säßen wir wieder in unseren vier Wänden, etwas<br />
müde freilich, aber ich habe heute immerhin achtzig Minera-<br />
lien beschriftet. Es freut, einen zweifelhaften Obsidian richtig<br />
bestimmt zu haben und nachträglich auf dem Boden des Kas-<br />
14 Mit dem Studienrat Reinhold Herrmann (1886–1953), Lehrer für Naturwissenschaf-<br />
ten am Realgymnasium Döbeln (1912–1945), an der Betriebsberufsschule der<br />
Döbelner „Technischen Metallwarenfabrik“ (TEWA), an der Technikerfachschule<br />
Roßwein, endlich an der Oberschule Erkner bei Berlin und ehemaligen Leiter des<br />
Heimatmuseums Döbeln, hatte <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong> 1949 die geologische Abteilung des<br />
Kreismuseums Burg Kriebstein aufgebaut.<br />
tens einen Zettel vom Jahre 1833 von alter Hand zu finden, in<br />
dem zu lesen, daß besagtes Stück 1831 <strong>aus</strong> Mexiko nach Dö-<br />
beln kam. Mir ist dieser Zwang zur genauen Betrachtung der<br />
Stücke sehr heilsam. Selbst Spuren von Kupfer, Azurit, Malachit<br />
entgehen mir nicht – und ich weiß, daß das Stück in dieser Aus-<br />
stattung von Tsumeb in Afrika gekommen sein muß. Man lernt<br />
dabei, die Augen aufzumachen. Und ich kann mir denken, daß<br />
das mit der Anatomie ganz ähnlich ist. Wer sich da gewöhnt,<br />
die genauen Einzelheiten des Objekts nicht flüchtig zu betrach-<br />
ten, kommt rascher voran als jemand, der die Begriffsakrobatik<br />
etwa der Hegelschen Philosophie sich klar zu machen hat. Von<br />
der ganz individuellen Erscheinung des konkreten Sachverhal-<br />
tes <strong>aus</strong>zugehen – wie in Mineralogie, Botanik, Anatomie – ist<br />
leichter zu fassen als der umgekehrte Gang von einer Abstrak-<br />
tion <strong>aus</strong>. – Spaßig ist, daß ich in den Unterrichtsp<strong>aus</strong>en Unter-<br />
richt halte, weil immer Gruppen von Kindern aller Altersstufen<br />
mich belagern und freiwillig sich unterrichten lassen. Und son-<br />
derbar: ich kann das noch! Heute, eine Kleine, vielleicht zwei-<br />
tes Schuljahr: ich sagte einem größeren Jungen, daß das von<br />
ihm gefragte Stück Analcim sei. Da sagt die Kleine: „das fängt<br />
mit A an und ich mit B“. – „Wie heißt Du denn?“ – „Bedra!“ (Sie<br />
meinte Petra!) – „Ja, da heißest Du Petra, und das bedeutet<br />
,Stein‘, Du wirst also immer Deinen Kopf durchsetzen. Aber ich<br />
setze Dich mit zu den andern Steinen in diesen Glasschrank!“<br />
Das Interesse vieler Kinder ist jedenfalls staunenswert, bei die-<br />
sen abgelegenen Sachen. Selbst ein Lehrer kam zum Staunen,<br />
als ich ihm das bei der Kristallbildung obwaltende Gesetz von<br />
der Rationalität der Verhältnisse der Achsenabschnitte bei der<br />
Entstehung der Kristalle klar machte. Alle echte Wissenschaft<br />
beginnt mit dem Staunen (was schon Plato wußte).<br />
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