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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1971<br />

enorm verjüngt und entgiftet – es gibt da etwas unangenehm<br />

Unwahres. Im Ganzen gesehen, muß gesagt werden, daß es<br />

guter Impressionismus der Vor-Weltkriegszeit ist, also <strong>aus</strong> dem<br />

ersten Viertel dieses Jahrhunderts.<br />

17. April<br />

Einige der Bilder von Neroslow sind während seines Auf-<br />

enthaltes im <strong>Waldheim</strong>er Zuchth<strong>aus</strong>e gemalt, sind also Erin-<br />

nerungen früher erlebter Landschaftseindrücke, was nicht <strong>aus</strong>-<br />

schließt, sie unter den Stilbegriff des Impressionismus einzu-<br />

ordnen. Es gibt sehr dauerhafte Erinnerungen im menschlichen<br />

Bewußtsein. Jedenfalls hat er sich nie im Gebiete expressio-<br />

nistischer Darstellungen aufgehalten. Das mag auch mit seiner<br />

Ausbildung an der Dresdener Akademie zu erklären sein, an<br />

der die impressionistische Malerei durch große Könner vertre-<br />

ten war, wie Oskar [richtig: Gotthardt] Kuehl und Fritz Beckert,<br />

[Carl Ludwig Noah] Bantzer.<br />

Gestern abend 10 30 bis 11 h wurde eine Sendung geboten:<br />

„In memoriam Rudolf Mauersberger“, dem im Februar gestor-<br />

benen Kantor des Kreuzchores in Dresden. (Übrigens bin ich<br />

in der Kreuzkirche getauft worden!) Ein ehemaliger Kruzianer<br />

sprach Erinnerungsworte, denen Gesänge des Kreuzchores ein-<br />

geflochten waren, die er noch selbst dirigiert hatte. Diese Sen-<br />

dung war ein Kunstwerk ohne jeden Fehler – ganz <strong>aus</strong>gezeich-<br />

net.<br />

21. April<br />

Heute setzte ich mich auf dem Markte auf eine Bank am<br />

Brunnen, weil ich eine halbe Stunde in dem Blumenladen in<br />

der Schloßstraße gestanden hatte, um eine Fleurop-Sendung<br />

zu Peters Geburtstag aufzugeben. Auf der nächsten Bank saß<br />

ein alter Mann, der nach einer Weile sagte: „Sind Sie nicht der<br />

Lehrer <strong>Pfeifer</strong>?“ – „Das läßt sich nicht leugnen.“ –„Ich habe<br />

sehr gute Erinnerungen an die Zeit, da ich bei Ihnen Schule<br />

hatte.“ – „Wann war denn das?“ – „Nu, ich bin 1913 <strong>aus</strong> der<br />

Schule gekommen, das ist so 1910 gewesen. Sie haben uns nie<br />

geprügelt, und es war immer schön.“ Das ist also über 60 Jahre<br />

her – merkwürdig, wie dauerhaft das Gedächtnis ist, sogar bei<br />

einem einfachen Stuhlbauer. […]<br />

Erstaunlich ist die Geschäftigkeit, mit der im Westen an<br />

„Bildung, Ausbildung, Fortbildung“ getestet wird und noch er-<br />

staunlicher das Ausspenden von Milliarden für die Schulen<br />

und Hochschulen. Die Zahlen gehen in astronomische Größen.<br />

Wenn ich damit die kärglichen Beträge vergleiche, mit denen<br />

man unsere Arbeit bedachte. Heute bezieht da ein Lehrer in ei-<br />

nem Monat eine Summe, die wir etwa in einem Jahre bekom-<br />

men haben – immer so am Rande des Existenzminimums und<br />

genötigt, durch Privatstunden ein paar Mark hinzuzuverdienen,<br />

eine Beschäftigung, die ich seit meinem 15. Lebensjahre <strong>aus</strong>-<br />

geübt habe. Freilich, gelernt hab ich sehr viel dabei. Als Hilfs-<br />

lehrer erteilte ich fünf Tage in der Woche früh von 6 bis 8 Uhr<br />

Englisch an einer Handelsschule, um 8 Uhr begann dann der<br />

normale Unterricht. 32 Pflichtstunden in der Woche, Klassen<br />

bis etwa 50 Kinder, Korrekturen, Vorbereitungen, nachts für die<br />

zweite Prüfung zu arbeiten. Von diesen Mühen haben die Leute<br />

heute keine Ahnung. Sie machen jedes Jahr mehrere große Rei-<br />

sen; hoffentlich werden sie dabei gescheiter, als wir es wer-<br />

den konnten.<br />

304 305<br />

4. Mai<br />

Hilfslehrer um 1900<br />

Drei (3!) Katzen blieben zugleich vor meinem Fenster ste-<br />

hen, sie sahen den Eichhörnchen zu, die ihrerseits stutzten.<br />

Einander mißtrauisch, ja feindselig zu begegnen, scheint das<br />

Grundgesetz des Verkehrs zu sein. Mozart ist die Ausnahme,<br />

die dissonanten Geräusche die Regel. Jetzt kommt ein Har-<br />

fenspiel, [Jan Ladislav] Dussek – dieses Instrument gefällt mir

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