Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1964 Gesinnungswächter<br />
25. August<br />
Die Unkosten des Heimatfestes sind auf 62 000 M ver-<br />
anschlagt worden. Der Festzug allein kostet 10 000 M, eine<br />
Abendveranstaltung der Leipziger Konzert- u. Gastspieldirek-<br />
tion 6000 M.<br />
30. August<br />
Gestern abend prasselte ein teures Feuerwerk in die Luft.<br />
Ich hab kein Verständnis dafür, t<strong>aus</strong>ende von Mark so in 20 Mi-<br />
nuten zu verpuffen. Sollten sie dafür Bäume und Blumen pflan-<br />
zen – würden sie ihre schon mit 20 Jahren vergrauten Kohl-<br />
köpfe schütteln und nicht begreifen, daß ein Blumenfeuerwerk<br />
sehr viel dauerhafter ist, wie die Weimarer Anlagen beweisen.<br />
Nun werden hoffentlich die Fahnenlappen verschwinden und<br />
der „Schmuck“ der Papierguirlanden. Alles Talmi.<br />
1. September<br />
Kaum ist hier der Festrummel vorbei, fährt eine Meinungs-<br />
kanone (= Lautsprecherwagen) der „bewaffneten Organe“<br />
durch die Straßen und ruft zu einem „Sportfeste“ auf. Wie hieß<br />
es von Goering: „De Fahnen hoch leiern – Feste feiern – de But-<br />
ter verdeiern.“<br />
25. September<br />
Wissen möchte ich, ob die drei Schulleiter [einer Schule]<br />
auch jeder ein eigenes Geschäftszimmer haben. Wohl möglich.<br />
Und dann klagen sie über Raummangel! Dabei sind insgesamt<br />
400–500 Kinder weniger als damals zu der Umsiedlerzeit, wo ich<br />
1850 Kinder in dem Bau zu versorgen hatte, Kohlen- und Schuh-<br />
beschaffung, Raumnot, Läuse, Statistiken, Kommandanten das<br />
Leben erschwerten, die Klassen viel zu stark besetzt waren.<br />
5. Oktober<br />
Frl. Lehzen: red ihr <strong>aus</strong>, irgend etwas zu schicken. Denn<br />
sich ein Buch zu bestellen, ist sinnlos, weil ich auf keinen Fall<br />
den Dieben eine Gelegenheit zum Postraube geben will. Das<br />
ist zu ärgerlich. Diese Dummköpfe, die als Gesinnungswächter<br />
sich wichtig nehmen und wie die Raben m<strong>aus</strong>en, sollen nicht<br />
noch sich an mir bereichern. Vielleicht gibt es später in der<br />
Hölle eine Bibliothek verbotener Schriften, da kann man das<br />
Versäumte nachholen.<br />
9. Oktober<br />
Die beiden Schlesierjungen ernten noch Kartoffeln in Meck-<br />
lenburg. Eine Gruppe von Schülern einer Textilmaschinenbau-<br />
schule <strong>aus</strong> dem Vogtlande war übel untergebracht, auf 100<br />
Leute zwei Waschbecken, Essen miserabel. Worauf der Direk-<br />
tor der Schule erklärt hat, er würde seine Leute zurückrufen,<br />
wenn das nicht augenblicklich geändert sei. Das hat gewirkt.<br />
Freilich in der Zeitung liest man so etwas nicht. Da ist alles vor-<br />
züglich, erfüllt und übererfüllt: der Zug von morgen früh fuhr<br />
gestern bereits ab.<br />
13. Oktober<br />
Die beiden Bücher wurden über Nacht gepreßt und sind<br />
nun fertig gebunden. Sie machen einen guten Eindruck, bei<br />
mir wenigstens. Das eine sind die Steinlisten für die Samm-<br />
lung in Großbauchlitz, das andre eine Ausgabe der <strong>Briefe</strong> von<br />
Anna Amalia und Karl August an Merck. Da war der Einband<br />
nicht schön, ich hatte das Buch vor langen Jahren mal im An-<br />
tiquariat gekauft. Der Rücken sollte Pergament vorgaukeln, es<br />
war aber ein mit irgendwelcher Kunsthaut bezogener Karton,<br />
der Einband nicht mehr ganz fest. Dem ist jetzt abgeholfen.<br />
Ein neuer Rücken mit dem alten Schild, ein passender Bezug,<br />
neues Vorsatzblatt <strong>aus</strong> einem alten Papier, dem des Buches<br />
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