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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1968 Ernst Niekischs „Widerstand“<br />

schenken mag ich so etwas nicht, wegen der schiefen Beleuch-<br />

tung. Ich erhielt es von Münch „zur Ansicht“ – nun nach meiner<br />

Ansicht möchte ich nicht mit dem Wurme eine Angel schlucken.<br />

Goethe sagte mal zu Riemer über den Gymnasiallehrer Bötti-<br />

ger: er ähnelt den Harpyen, er muß erst in das hineinscheißen,<br />

was er einem vorsetzt, so ist das mit solchen „Vorreden“. Ich<br />

sehe nicht ein, warum ich für dieses Harpyenzeug einen Pfen-<br />

nig <strong>aus</strong>geben soll. Dieses Ansichtsexemplar geht heute zurück.<br />

Leider wird es immer mehr Mode, ältere Sachen – die den Ver-<br />

leger gar nichts kosten – mit derartigen Vor- oder Nachworten<br />

zu garnieren. Das sollen sie mal schön für sich behalten, nie-<br />

mand sollte ihnen dieses Zeug abkaufen. – Als Goethe mit Rie-<br />

mer in Karlsbad war, begegnete ihnen jener Böttiger, und Goe-<br />

the sagte: „Der sah doch dem Böttiger ähnlich!“ „Das war er<br />

selber“, antwortete Riemer. Darauf Goethe: „Na Gott sei Dank,<br />

daß er nicht noch ein zweites solches Arschgesicht geschaffen<br />

hat!“ 17 Der Herr Geheimbde Rat konnte sich doch recht volks-<br />

tümlich <strong>aus</strong>drücken.<br />

Heute erhielt ich ein Päckel von Gerda Baumann, in dem<br />

steckte eine elektrische Kaffeemühle. Diese hab ich eben ein-<br />

mal mahlen lassen und stelle dabei fest, daß der fertige Kaffee<br />

wesentlich stärker ist, von der gleichen Menge Kaffeebohnen,<br />

die ich sonst zu mahlen pflegte. Das ist der Erfolg der feineren<br />

Mahlung. Da in 30 Sekunden alles erledigt ist, kann ich 150 mal<br />

Kaffee mahlen für 1 Pfennig Strom! Sonst drehte ich zwei Minu-<br />

ten etwa die Kurbel, jetzt drückt man auf einen Knopf.<br />

16. November<br />

Gestern sind 10° minus erreicht worden, heute früh lag der<br />

erste Schnee. Die Rhododendronblätter rollen sich zu Röhren<br />

17 Diese Anekdote überlieferte Ernst Moritz Arndt in Meine Wanderungen und Wande-<br />

lungen mit dem Reichsfreiherrn Heinrich Karl Friedrich vom Stein (1858).<br />

und hängen abwärts. Durch das Einrollen werden die Spaltöff-<br />

nungen der Blatt-Unterseite dem <strong>aus</strong>trocknenden Winde entzo-<br />

gen; es kann weniger Wasser <strong>aus</strong> dem Blatte verdunsten. Und<br />

das ist deshalb vernünftig, weil bei dieser niederen Tempera-<br />

tur die Wurzeln kein Wasser aufnehmen können. Die Pflanze<br />

würde vertrocknen, am Wassermangel eingehen. Es gibt also<br />

Vernünftiges – nur leider spricht das Unvernünftige lauter, öf-<br />

ter, p<strong>aus</strong>enlos.<br />

6. Dezember<br />

Merkwürdig, wie manchmal das Gedächtnis funktioniert:<br />

Seit gestern abend grub ich es um, den Namen eines Mannes<br />

wiederzufinden, der im Anfang der Nazizeit eine Zeitschrift her-<br />

<strong>aus</strong>gab, die er „Der Widerstand“ benannte und in der oft recht<br />

kühne Betrachtungen zu den Vorgängen in Deutschland stan-<br />

den. Allerdings lebte die Zeitschrift nicht sehr lange, vielleicht<br />

bis Ende 1934 oder Anfang 1935. Wie es dem Her<strong>aus</strong>geber er-<br />

ging, weiß ich nicht. Darin stand ein Aufsatz eines Kieler Arztes<br />

mit dem Titel „Die Rache der letzten Bank“, in dem die törich-<br />

ten Maßnahmen einer Anzahl zu hohen Funktionen gelangter<br />

Leute scharf beleuchtet wurden und zur Erklärung jeweils hin-<br />

zugefügt war, wie diese Unbegabten kraft ihrer Glaubensstärke<br />

hoch gekommen seien und nun als geistig Minderbemittelte<br />

Rache an ihren Lehrern zu nehmen suchten. So etwas mußte<br />

eingehen. Heute, als ich gar nicht daran dachte, sah ich in Ge-<br />

danken den gut gedruckten Zeitschrifttitel vor mir, las, daß der<br />

Her<strong>aus</strong>geber Niekisch 18 hieß – wie der damals nicht mehr le-<br />

18 Ernst Niekisch (1889–1967) gab den Widerstand. Zeitschrift für nationalrevo-<br />

lutionäre Politik (1926–1934) her<strong>aus</strong>. 1937 verhaftet und wegen Hochverrats<br />

zu lebenslanger Haft verurteilt, überlebte er und schrieb das Buch über Hitler-<br />

Deutschland Das Reich der niederen Dämonen, Hamburg 1953. Seit 1945 lebte er<br />

in Westberlin, war Mitglied der SED und hatte eine Professur an der Ostberliner<br />

Humboldt-Universität. Nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR<br />

Bruch mit der SED.<br />

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