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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1960<br />

3. Mai<br />

Gestern nachmittag war ich bei den Großeltern in Krie-<br />

bethal. Sie sind beide ganz munter. Sie wollen – besonders<br />

drängte Großvati – bereits am Sonnabend früh nach Leipzig<br />

fahren. Ich rate Dir, Deinen Fleischeinkauf für Sonntag bereits<br />

am Freitag zu erledigen; für die späteren Tage überlaß das<br />

Großmutti; ich weiß, daß ihr das Spaß macht. Vielleicht wäre<br />

es gut zu wissen – genau – wann am Sonnabend in der Tho-<br />

mas-Kirche die Musik stattfindet und mit beiden dahin zu fah-<br />

ren, da sie hier so etwas nie hören können. Ich habe nicht mit<br />

ihnen davon gesprochen, Du kannst sie damit überraschen.<br />

Und mit der 24 fahrt Ihr ja bis vor die Tür. Es ist also gar nicht<br />

umständlich.<br />

Schönen Dank für den eben erhaltenen „Tasso“-Brief. Da<br />

hast Du Dir wieder etwas Schönes zu Gemüte geführt. Das ist<br />

sehr gut, denn der Zug der Zeit geht – wie der Elternabend<br />

lehrte – fast <strong>aus</strong>schließlich auf das bloß Nützliche, eine elend<br />

prosaische Angelegenheit, deren Bedeutung ich durch<strong>aus</strong> nicht<br />

verkenne, aber das genügt nicht zum Leben. Ich besuchte ein-<br />

mal im Dachsteingebiet 16 einen wundervollen Wasserfall, der<br />

dort in der Einsamkeit einer Alpenschlucht an großen Felsblö-<br />

cken zerstäubte. Ringsum blühten massenweise die kleinen<br />

wilden Alpenveilchen. Moose, Flechten, Algen strahlten leuch-<br />

tend grün in dieser feuchten Luft. Da kam ein Wanderer des<br />

Wegs daher, betrachtete, photographierte den Wasserfall und<br />

fing ein Gespräch an. Nichts sah er von der Schönheit der Na-<br />

tur, staunte bloß, daß man deswegen dasitze. „Ich habe als<br />

Ingenieur nur den Auftrag, die mögliche elektrische Kapazität<br />

abzuschätzen, die man bei geeigneten Bauten dieser Wasser-<br />

menge entnehmen könnte.“ Nun ja, man braucht Licht, Wärme,<br />

16 Den Dachstein besuchte <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong> 1925 während der Konferenz des Internationa-<br />

len Versöhnungsbundes in Gaming (Österreich), s. auch Brief vom 12. Juli 1972.<br />

Kraft – alles richtig, aber daß man nichts weiter sieht, als was<br />

die technische Brille zeigt, das ist das Schreckliche. In Burck-<br />

hardts Rede ist es das „räderschnurrende Elend dieses Säcu-<br />

lums“ 17 , dessen Fehlen in Rom ihn so angenehm erfreute. Von<br />

diesem Utilitätsprincip nicht mit erfaßt zu werden – das ist<br />

unsre Aufgabe. Und deshalb geht zu der Motette, solange es<br />

das noch gibt.<br />

Ein Witzbold ist der *** am Markt. Er hat ein Plakat in sei-<br />

nem Fenster: „1. Mai Kampftag der Nation“, darunter hat er quer<br />

eine alte Armbrust aufgeheftet, wobei zu lesen: „mit solcher<br />

Armbrust kämpfte Tell für Freiheit, Recht, Unabhängigkeit“. Ich<br />

werde ihn fragen, ob er etwa auf Heereslieferungen rechnet.<br />

32 33<br />

17. Mai<br />

Es gibt hier einiges Geräume, denn morgen kommt der Ma-<br />

ler, um Küche, Bad, kleines Zimmer und Vorsaal wieder in ei-<br />

nen menschenwürdigen Zustand zu bringen. Hoffentlich hat er<br />

es eilig; ich denke, daß in drei Tagen die kleinen Räume gepin-<br />

selt sein können. Na, Du kennst ja so etwas.<br />

Recht schönen Dank für die Tabaquaren [scherzhaft] – aber<br />

Du solltest das nicht tun, Du bringst meinen vor einigen Ta-<br />

gen gefaßten Vorsatz, das Rauchen abzustellen, ins Wanken.<br />

Nicht weil ich unter die Gesundheitsapostel geraten wäre, son-<br />

dern um vermeidbare Ausgaben zu unterlassen, wollte ich der<br />

Congregation der Nichtraucher beitreten. Man ist ja bei so vie-<br />

lem dabei: Zeitgenosse, Zeitungsleser, Reisender, Mitreisender,<br />

Wartender (immer auf etwas), Patient, Verbraucher etcetera –<br />

es läßt sich kaum feststellen, wievielen „Kreisen“ man ange-<br />

hört (auch „Greis“!), zwangsläufig, denn trete ich bei den Rau-<br />

chern <strong>aus</strong>, bin ich bei den Nichtrauchern. Da sieht man mal das<br />

Verwickelte der gesellschaftlichen Ordnung; denn entweder ge-<br />

17 Vgl. Brief an Gottfried und Johanna Kinkel vom 9. März 1846.<br />

Der Wasserfall

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