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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1971 Fischer von <strong>Waldheim</strong><br />

an der musterhaften Planwirtschaft abkratzen wollte, belächel-<br />

ten sie das (meine geringe politische Urteilskraft) und schick-<br />

ten heute 200 Umschläge, davon Du gleich den ersten be-<br />

kommst – bloß um mir zu zeigen, daß es hier alles gibt! Eben<br />

nicht, sondern die Großstädte werden bevorzugt beliefert.<br />

30. August<br />

Gestern sagte Dr. Toepel, ich hätte sollen Professor wer-<br />

den, ich frage mich, weshalb? warum? wozu? Das ist mal eine<br />

Berufung gewesen mit hohem socialem Ansehen; davon brö-<br />

ckelte jedoch nach dem ersten Weltkriege bereits eine Verzie-<br />

rung nach der andern ab, und es blieb immer weniger übrig. Da<br />

lobe ich mir so einen Kleiber vor meinem Fenster, der – stets<br />

in gleicher eleganter Kleidung – täglich dahin fliegt, wo er hof-<br />

fen kann, etwas zu finden, keine Verordnungen zu lesen hat,<br />

dem die Meinungen andrer über ihn völlig gleichgiltig sind. […]<br />

Eben kam ein Zaunkönig an mein Fenster! Immerhin etwas, ei-<br />

nen König zu bewirten!<br />

16. Oktober<br />

Morgenstern 10 ist nicht ungeschoren hinüber gekommen.<br />

Die Zöllner – und die noch übleren Zöllnerinnen – tragen nicht<br />

dazu bei, das Ansehen des Staates zu erhöhen. Es gilt wohl<br />

noch der Spruch des Plautus: „Oderint, dum metuant“ (Mö-<br />

gen sie hassen, wenn sie nur fürchten), den schon Cicero häu-<br />

fig zitierte. Es ist das Wesen der Geschichte, daß Zustände fort-<br />

dauern und nur die Menschen wechseln, die diese herbeifüh-<br />

ren und die sie zu ertragen haben. Man kann von Glück reden,<br />

wenn man nicht der ersten Gruppe angehört.<br />

10 Der Lehrer Lothar Morgenstern (1884–1972) kam wie <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong> 1908 an die<br />

Volksschule in <strong>Waldheim</strong>, beide unterrichteten auch an der Volkshochschule, sie<br />

wohnten im gleichen H<strong>aus</strong>.<br />

21. Oktober<br />

Ich lege Dir das Programm bei von der Feier für „Fischer<br />

von <strong>Waldheim</strong>“ 11 , die ich mir gestern abend im Rath<strong>aus</strong>e anhörte,<br />

zwei, drei Begrüßungssätze des Bürgermeisters [Helmut<br />

Saupe] (die er ablas!), Musik: der Geiger spielte – obwohl vom<br />

Gewandh<strong>aus</strong> – nur den ersten Beethoven <strong>aus</strong>wendig; bei allen<br />

anderen Sachen bediente er sich eines Notenständers. Die „Lesungen“<br />

über Fischer besorgten ein paar Oberschülerinnen. Da<br />

sie ungeschickt plaziert waren und viel zu leise sprachen, war<br />

an keinem Orte ein Satz zu verstehen. Ebenso verklangen die<br />

Goethe-Gedichte – ebenfalls Schülerinnen – ohne daß jemand<br />

etwas davon vernahm. Büttner, <strong>aus</strong> dessen Buche Abschnitte<br />

vorgelesen wurden, war auch da und erhielt am Ende – wie die<br />

Musikanten – ein paar rote Nelken. Ansonsten war das ein Programm,<br />

wie es etwa 1910 vom Dürer-Bund 12 aufgebaut wurde.<br />

10. November<br />

Ich besuchte gestern abend das „Museum“ des ***, der<br />

mich dringend darum gebeten hatte, seine Sachen einmal anzusehen.<br />

Da erinnerte manches an Goethes Besuch bei dem<br />

Sonderling Beireis 13 in Helmstedt 1805. In dem selbstgebauten<br />

Geniste hinter dem H<strong>aus</strong>e mit seinem Laden, den der Sohn<br />

jetzt hat, gibt es eine Menge ganz unvermuteten Raumes, den<br />

11 Anläßlich seines 200. Geburtstags, s. Brief vom 1. November 1965, Anm.<br />

12 Der Dürerbund wurde 1902 in Dresden als überparteiliche Kultur- und Bildungsver-<br />

einigung von dem Her<strong>aus</strong>geber der Zeitschrift Der Kunstwart, Ferdinand Avena-<br />

rius (1856–1923), gegründet. Der ästhetischen Erziehung des Volkes, dem Natur-<br />

schutz und der Heimatpflege dienend, veranstaltete er u.a. Vortragsabende mit<br />

Musik und Lichtbildern, die das Gemüt der Besucher erreichen wollten.<br />

13 Seinen Besuch bei dem Professor der Medizin, Chemie, Physik und Botanik an der<br />

Universität Helmstedt, Gottfried Christoph Beireis (1730–1809), schildert Goethe<br />

in Tag- und Jahreshefte. 1805. Zu seiner Sammlung von Münzen, Mineralien, <strong>aus</strong>-<br />

gestopften Vögeln, Gemälden gehörten auch Vaucansonsche Automaten wie die<br />

körnerfressende, -verdauende und -<strong>aus</strong>scheidende mechanische Ente, die aber<br />

nicht mehr richtig funktionierte.<br />

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