Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1971 Ein arischer „Sommernachtstraum“<br />
neugierig an, knackte seine Kerne und hörte ein Cello-Konzert<br />
von Brahms an. […]<br />
Eine neu gebaute Schule bei Frankfurt ist ohne Fenster er-<br />
richtet worden, ein Darmstädter Architekt hat diesen Schild-<br />
bürgerbau errichtet mit der Begründung, daß darin intensiver<br />
gelernt werde. Jetzt weigern sich jedoch Eltern, ihre Kinder in<br />
dieses finstere Loch zu schicken. Nun soll „überprüft“ werden,<br />
ob man etwa Fenster einsetzen wird. Jede Verrücktheit ist also<br />
möglich. Da könnte man doch Schulen unterirdisch in stillge-<br />
legten Bergwerken unterbringen; da bliebe oben der Raum für<br />
ein Geschäftsh<strong>aus</strong>, das durch teure Mieten den Schulbetrieb<br />
finanzieren könnte. Interessant ist dabei die Tatsache, daß<br />
ein wortgewandter Baumeister eine Schulbehörde für solchen<br />
Wahnsinn überreden kann. Nichts ist von den Lehrern zu hö-<br />
ren, das müssen echte Papptoffel sein. Nun ja, hier gab es auch<br />
mal solche, die beantragten, die unteren Fensterscheiben an-<br />
zustreichen, weil sie ihrer Unterrichtskunst – mit Recht – nicht<br />
zutrauten, daß sie anziehender arbeiten konnten als ein Spatz<br />
auf dem Fenstersockel. Ich freue mich noch heute, wie ich da-<br />
mals diesen Antrag abgewürgt habe.<br />
In diesem Jahre zieht über Nürnberg ein Dauerregen von<br />
„Veranstaltungen zum Dürer-Jahr“ 1471 geb. – 1971. Ob das in<br />
seiner Fülle noch einen Sinn behält, erscheint recht zweifelhaft.<br />
Es werden alle „Kulturschleusen“ gezogen, um „Nürnbergs Be-<br />
lastung <strong>aus</strong> der NS-Zeit abzubauen und das Image der Stadt<br />
als das eines traditionsreichen europäischen Kulturzentrums<br />
darzustellen“. Ausstellungen, Vorträge (über das ganze Jahr<br />
hinweg!), Theater, Konzerte, bauliche Maßnahmen, Folklore,<br />
Literatur – so was war nie da. Es kann einer p<strong>aus</strong>enlos „Ver-<br />
anstaltungsgast“ sein – ein Jahr lang. Da muß einer Zeit, viel<br />
Geld und eine sehr gute Natur haben, um das <strong>aus</strong>zuhalten. Al-<br />
lein zehn Festkonzerte wurden von der Stadt Nürnberg „in Auf-<br />
trag gegeben“. Das riecht nach Hitler, der 1933 eine Musik zu<br />
Shakespeares „Sommernachtstraum“ „in Auftrag gab“ 4 , weil er<br />
den Mendelssohn als Juden gestürzt hatte.<br />
24. März<br />
Mein neues H<strong>aus</strong>tier – das Pfauenauge – das, fast erstarrt,<br />
sich kaum regte, lebt heute noch und flattert am Fenster, ohne<br />
zu wissen, daß er zu den letzten einer immer seltener werden-<br />
den Erscheinung des Schönen zählt.<br />
Die abgeblühten Hyazinthen kannst Du jetzt auf den Bal-<br />
kon stellen, gießen solange noch grüne Blätter da sind. Wenn<br />
diese abwelken, wird mit dem Gießen aufgehört und Du stellst<br />
die Töpfe in den Keller. Da kann ich sie im Oktober nochmal<br />
neu in Erde setzen. Laß sie auf dem Balkon nicht in einer fins-<br />
teren Ecke, Licht und Wasser ist gut, bis sie die Blätter einzie-<br />
hen und ihre Ruhezeit antreten.<br />
300 301<br />
5. April<br />
Ich erhielt eine Dankkarte von Frau Dr. Kröpp für das Te-<br />
legramm, das ich Ihr schickte, als er [Gustav Kröpp] – mit 70<br />
Jahren – gestorben war. Sie legte der gedruckten Danksagung<br />
eine Karte bei. Darauf stand zu lesen: „Drei Tage nach dem 3.3.<br />
wurde ein geschichtliches Problem angeschnitten. Unser Fried-<br />
rich nahm dazu ein Buch <strong>aus</strong> dem Regal: ,Kaiser Friedrich der<br />
Zweite‘. Ich schlug es auf. Ich hatte es jahrelang nicht mehr in<br />
der Hand gehabt. Da sah ich die Schrift meines Mannes: ,Er ist<br />
niemals gestorben! 5 26.11.53 Gustav‘.<br />
Sollte diese Widmung ein Zeichen sein?<br />
Ihre Margret Kröpp.“<br />
4 Vgl. Fred K. Prieberg, Ein Sommernachtstraum – arisch. In: Musik im NS-Staat, Frank-<br />
furt am Main 1982, S. 144–164.<br />
5 Vermutl. in Anlehnung an das Testament Friedrichs II., in dem es heißt: „daß wir<br />
noch zu leben scheinen, wenn wir bereits dem sichtbaren Leben entrückt sind“,<br />
vgl. Kurt Pfister, Kaiser Friedrich II., München 1942, S. 377.