Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1972 Mädel mit großen Pistolen<br />
Kippenberg, das unter Mitwirkung von Ernst Beutler 1932 ge-<br />
druckt wurde auf Seite 235. Lies dazu die Textbemerkung auf<br />
Seite 302 rechte Spalte unter Nr. 235.<br />
29. Januar<br />
Von Stups erhielt ich einen sehr lieben Brief, für den ich ihr<br />
recht zu danken habe.<br />
Der [Geburts-]Tag verlief recht in Ruhe: ich hatte beizei-<br />
ten auch Hans in Dresden gebeten, bei diesem Wetter nicht<br />
hierher zu kommen – und das war gut so, denn es sind heute<br />
früh hier etwa 12 Grad Kälte gewesen, wenn nicht noch mehr.<br />
Wenn ich bei solchen Temperaturen jemand meinetwegen un-<br />
terwegs weiß, dann hab ich dauernd Sorgen; denn das War-<br />
ten an der Haltestelle, der vielleicht kalte Omnibus (erst neu-<br />
lich ist einer nach Dresden kalt gefahren), die Möglichkeit, eine<br />
Grippe zu bekommen – das alles bestimmt mich, niemand zu<br />
einer Fahrt hierher meinetwegen zu ermuntern. Am Vormittag<br />
kam Ilse Schlesier (die Mutter von Konrad und Bernhard, in-<br />
zwischen Großmutter eines Sohnes von Konrad), Herr Heinrich,<br />
Herr Morgenstern und der neue Pfarrer Schleinitz. Das hab ich<br />
ganz gut überstanden. Den Nachmittag saß ich in meinem Bau<br />
in gewohnter Stille. […]<br />
Auf meine Bitte hat Hans sehr genau ermittelt, was über<br />
das Schicksal des ersten Dramaturgen der Dresdener Theater<br />
in den zwanziger Jahren – Karl Wollf 4 – zu ermitteln war. Ich<br />
fürchtete, dieser hochbegabte Mann sei – als Jude – 1933 mit<br />
umgekommen, weil ich bisher nichts erfahren konnte. Glückli-<br />
cherweise ist er gleich nach der Machtübernahme durch Hitler<br />
<strong>aus</strong>gewandert, und noch 1944 sind Arbeiten von ihm, die er<br />
4 Der Autor und Dramaturg Karl Wollf (1876–1952), Mitglied der Schopenhauer- und<br />
der Kleist-Gesellschaft, emigrierte über die Tschechoslowakei und Frankreich nach<br />
England.<br />
drüben geschrieben hat, in Amerika gedruckt worden. Ich bin<br />
stets froh, wenn ich von einem höre, der den Barbaren noch<br />
hat entgehen können, ehe es zu spät war. Ich hörte gestern<br />
nachmittag einen Vortrag eines jüdischen Rabbiners, dessen<br />
Gedanken sehr das Denken anregen konnten.<br />
16. Februar<br />
Du wirst heute Deine Arbeit beendet haben; denn die<br />
„Schulferien“ haben wohl jetzt nur die Schulkinder, die sich<br />
in dieser Zeit in Manövern üben. Ich sah erst gestern wieder<br />
ein paar 11–12jährige Mädel mit großen Pistolen – alles für<br />
den Frieden. Denn wenn erst alle umgeschossen sind, ist der<br />
„Friede“ hergestellt. Und die Schafsnation preist, was gerade<br />
als Mode gilt. Vorige Woche kam so ein Ding, das sich Lehrer<br />
nennt, mit einem halben Dutzend Jungen, 12–14 Jahre, von de-<br />
nen auch 3 oder 4 mit Kleinkalibergewehren bewaffnet waren.<br />
Da können sie dann Partisanenkrieg machen. Wie sie mit den<br />
Atombomben fertig werden, bleibt ihnen genau so überlassen<br />
wie den Hitlerjungen 1945 die sogenannten Panzerfäuste, mit<br />
denen diese Knaben nach der bereits offenkundigen Nieder-<br />
lage den Endsieg „erringen“ wollten. Intelligentes Handeln und<br />
Dummheiten unterscheiden sich darin, daß Dummheiten wie-<br />
derholt werden, ja in endloser Folge auftreten, während eine<br />
kluge Tat als Ausnahme zu merken ist. Intelligenz ist keine an-<br />
steckende Krankheit.<br />
17. Februar<br />
Es kam wieder mal im Radio ein sehr interessanter Fall von<br />
„Verlesen“ (= falsch lesen) her<strong>aus</strong>. Die Ansagerin des Program-<br />
mes kündigte einen Titel an: „Die Kunst der Erde“, es han-<br />
delte sich jedoch um einen Vortrag über „Die Kunst der Rede“<br />
– höchst interessant, diese Vorwegnahme des Vokals und die<br />
damit verbundene Entstellung des Sinnes. S. Freud hätte das<br />
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