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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1971 Prellböcke<br />

4. Klasse und half oft im Schulgarten.“ Aber freilich erinnere ich<br />

mich, sie war damals etwa neun Jahre, ein sehr ruhiges, zartes<br />

Kind, klug und bescheiden, Tochter eines Schusters, von der Art,<br />

die als „unscheinbar“ übersehen werden, arme Leute. Jetzt lebt<br />

sie mit einem Schweizer verheiratet in guten Verhältnissen seit<br />

14 Jahren in der Schweiz. Zweierlei ist mir daran psychologisch<br />

interessant: einmal erinnern sich Menschen Mitte vierzig selten<br />

an ihre ersten Schuljahre; anderseits lebte ich damals in schreck-<br />

licher Bedrückung durch den Nationalsocialismus und es scheint<br />

doch, daß ich noch einprägsamen Unterricht erteilt habe.<br />

13. Januar<br />

Was die Leute gegen den Namen „Emil“ (Aemilius) ha-<br />

ben, ist mir dunkel. Hier gibt es einen Sokrates Müller, wenn<br />

er nicht weggezogen ist. Der hat jedenfalls durch seinen Vor-<br />

namen – den der Vater als Soldat in Athen häufig angetroffen<br />

hatte, ohne den echten Sokrates zu kennen – eine Sonderstel-<br />

lung unter den vielen Müllern erhalten. In England gab es ei-<br />

nen Verein der „Smith“ mit 40 000 Mitgliedern.<br />

20. Januar<br />

„Chor der 4000“ – groß, größer, noch größer, am größten.<br />

Aber das ist nichts Neues. Als Kaiser Wilhelm II. 1913, 25 Jahre<br />

nach seinem Regierungsantritt, Dresden besuchte – er konnte<br />

die Sachsen nicht leiden (so wie wir von den Preußen nichts<br />

wissen wollten) – wurde auf dem Theaterplatze in Dresden ein<br />

Militärkonzert von 4000 Militärmusikern dargebracht. Nun ja,<br />

Ameisen treten auch zu T<strong>aus</strong>enden auf, auch Flöhe, Fliegen,<br />

Läuse, Mücken. Also „zurück zur Natur“. Ich werde das wohl in<br />

meinem Radio nicht hören. – Mir fehlt mehr und mehr der Ver-<br />

stand. So freuen kleine Dinge meinen Geist, wie z.B. eine ganz<br />

hervorragende Rasierklinge, die mir Seidel schickte.<br />

26. Januar<br />

Disziplinzustände seltener Art scheinen an manchen Berufs-<br />

schulen zu herrschen. Wer das gesundheitlich <strong>aus</strong>halten kann,<br />

muß eine eiserne Natur haben. Die Phrase „Der Mensch ist gut“<br />

wird dort von einem Bodensatz von Leuten gründlichst wider-<br />

legt. Wer da in Illusionen lebt, durch „Erziehung“ sei jeder zu<br />

veredeln, der sollte das durch die praktische Lösung einer der-<br />

artigen Aufgabe erst einmal beweisen. Daß es den <strong>aus</strong>gemach-<br />

ten Schurken gibt, hat Shakespeare sehr anschaulich deutlich<br />

gemacht. Es ist doch äußerst oberflächlich, so wie es heute ge-<br />

schieht, alle üblen Gestalten als Produkte eines schlechten Mi-<br />

lieus anzunehmen und sich von einer Milieuveränderung einen<br />

Umbau eines bösartigen Charakters zu versprechen. Als Prell-<br />

böcke stehen da die Lehrer und Schulleiter in der Gegend he-<br />

rum. Die Theorienschreiber und Regierungsräte in Ministerien,<br />

in wohlgeheizten Räumen, in bequemen Sesseln sitzend, ihre<br />

Verfügungen diktierend und unterschreibend, haben keine Ah-<br />

nung von der harten Wirklichkeit, in die sie eingreifen wollen.<br />

30. Januar<br />

Heute erhielt ich einen Glückwunsch von Renate 1 , die von<br />

ihrem 6. bis 10. Lebensjahre in der üblen Zeit von 1945–1949,<br />

die Du in Deinem Tagebuche so eindrucksvoll geschildert hast,<br />

bei mir hier zugebracht hat. Sie schreibt da: „Ich weiß, daß<br />

meine Jahre in <strong>Waldheim</strong> meine schönsten Kinderjahre wa-<br />

ren und werde sie nie vergessen.“ Und das waren doch in Be-<br />

zug auf Ernährung, Heizung, Kleider, Schuhe die schrecklichs-<br />

ten und dürftigsten Zeiten. Wie doch Erinnerung vergolden<br />

1 Renate Strauß, verh. Schmidt-Rhaesa (*1938), lebte, weil ihre Mutter gestorben und<br />

ihr Vater an der Front war, zuerst bei ihrer Tante, <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>s Tochter Irene (verh.<br />

Strauß), in der Nähe von Dresden und dann von 1945–1949 bei <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong> in<br />

<strong>Waldheim</strong>, vgl. Renate Schmidt-Rhaesa, Heiter, gütig und weise. In: <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>.<br />

Ein sächsischer Schulmeister. <strong>Waldheim</strong>er Heimatblätter, Heft 15, 1999, S. 17f.<br />

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