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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1961 Arme Menschenwelt<br />

und dann grau und gelb gefleckt dastehen. Aber nun möchte<br />

ich endlich das Gerede von der armen Wohnung <strong>aus</strong>räumen:<br />

„Vergnügungs“lokal Bildungsstätte<br />

„H<strong>aus</strong>bar“ Bücher, Bilder, Plastiken<br />

= Sammlung von Flaschen, = Sammlung von Büchern,<br />

die nach Gebrauch leer, die Jahrhunderte helfen,<br />

also sehr vergänglich dauerhaft<br />

Dummen imponierend Dumme beängstigend<br />

von Klugen gemieden von Klugen geschätzt<br />

krank machend gesund machend<br />

v<br />

und so weiter<br />

Nun wähle! Verkoof also die Bücher, Bilder etc. und koof Dir<br />

Flaschen. Benachrichtige mich vorher, da ich als Käufer auf-<br />

trete. Und wenn Dir die Flaschen so imponieren bei bunter Be-<br />

leuchtigung, dann kannst Du <strong>aus</strong> vorstehendem Schema die<br />

Kategorie ablesen, zu der ich – und ich nicht allein – diese an<br />

Flaschen interessierten Leute zähle.<br />

4. April<br />

Morgen geht nun wohl der Schulbetrieb wieder los, und Du<br />

schiebst allein das ganze Karussell. Denke an Dich! Heb Dich<br />

auf! An diesen alten Satz von mir erinnerte jetzt Seidel 6 – der<br />

Studienrat in Schwerte – wieder. Wir hatten diesen Spruch als<br />

Trost in den finstern Nazitagen in Zschopau, um uns nicht un-<br />

terkriegen zu lassen.<br />

6 Die Freundschaft <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>s mit dem Lehrer und Cellospieler Helmut Seidel<br />

(*1903), der die Fächer Mathematik, Physik und Geographie unterrichtete, datiert<br />

<strong>aus</strong> der Zschopauer Zeit 1934–1943, s. Brief vom 28. August 1965. – Ende der<br />

40er Jahre ging Helmut Seidel nach Westdeutschland, wo <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong> ihn mehr-<br />

fach besuchte, zuerst in Letmathe und Schwerte (Westfalen), dann in Schein-<br />

feld.<br />

56 57<br />

28. April<br />

Weit wichtiger ist mir, zu wissen wie es Euch ergeht. Es<br />

wäre sehr gut, nein, höchst nötig, vom Presto allmählich zum<br />

Largo im Lebenstrubel zu kommen. Geht doch – bei jedem Wet-<br />

ter – ein Ringel durch den Eutritzscher Park oder die benach-<br />

barten Gartenstadtstraßen – und wenn es eine knappe Stunde<br />

ist. Das kommt sicher Eurer Musik zugute. Dabei könnt Ihr<br />

auch an den Straßenschildern die Geschichte der Philosophie<br />

des 19. Jahrhunderts, von Hegel bis Nietzsche, Euch einprägen,<br />

den Specht und das Eichhörnchen und die Gartenblumen, die<br />

Bäume und die Zwergenwelt beobachten, die in den Gärten ihr<br />

Wesen treibt. Und die arme Menschenwelt, die den Park be-<br />

völkert, solltet Ihr auch als Staffage der Landschaft ansehen<br />

lernen und nicht als unerwünschte Zutat. Jedes von ihnen hat<br />

doch sein eigenes armes Schicksal, trägt seinen Kummer und<br />

seine Freude, seinen Lebenshunger durch die Parkwege, ist be-<br />

drückt, oder gedankenlos – aber hätten diese Unbekannten<br />

nicht einen – ihnen vielleicht unbewußten – Drang nach dem<br />

Schönen, würden sie nicht dieses Stückchen Natur aufsuchen,<br />

sondern im „Parkrestaurant“ sich Freude in der Flasche kaufen.<br />

(Aber da haben die wieder „Ruhetag“!)<br />

Hernach fahre ich nach Kriebethal (ohne die Butter zu ver-<br />

gessen!)<br />

Eben erhalte ich Deine Karte. Dir darf durch<strong>aus</strong> nicht alles<br />

„wurscht“ sein. Zu dem Päckel von Hesse 7 beglückwünsche ich<br />

Dich, es kam da gerade im rechten Augenblick. Da hat der Alte<br />

in Montagnola mal einen vernünftigen Zeitpunkt gewählt. Mon-<br />

tagnola, das ist aber ein komischer Ortsname! Wahrscheinlich,<br />

um es von dem anderen Nola zu unterscheiden, das nicht weit<br />

von Neapel ostwärts hinter dem Vesuv liegt. Die „Morgenland-<br />

7 Gertrud Schade stand seit 1952 im Briefwechsel mit Hermann Hesse; 22 ihrer <strong>Briefe</strong><br />

befinden sich im Schweizerischen Literaturarchiv Bern.

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