Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1969 Eckermann<br />
heute einen freien Tag!“ Antwort: „Was soll ich in der Stadt? Ich<br />
bin doch viel lieber bei meinen Tieren.“ Er war dann Inspektor<br />
im Zoologischen Garten von Dresden und schildert am Ende<br />
des Buches die grauenhafte Zerstörung am 13. Februar 1945,<br />
die er mit den Tieren erlebt hat.<br />
5. Mai<br />
Heute ist hier eine drückende Schwüle, die Wärme läßt<br />
die Bodenfeuchte verdampfen, und das wird mir sehr unange-<br />
nehm. Kaffeesahne sei erst nächste Woche zu erwarten, wurde<br />
mir eben gesagt. Das Intermittierende der Versorgung gehört<br />
zu den Vorzügen dieses Systems, der Mensch wird immer in<br />
Spannung gehalten, während die im Westen herrschende Dau-<br />
erversorgung mit allen Waren zur Langweiligkeit des dort herr-<br />
schenden Lebens verhilft. Ich las die Rede eines mit dem Pro-<br />
fessortitel verzierten Arschlochs, in der behauptet wird: „Ein er-<br />
schreckender geistiger Verfall, die Zurücknahme und bewußte<br />
Zerstörung humanistischer Traditionen, die Her<strong>aus</strong>stellung des<br />
Abnormen, des Pornographischen und Sadistischen kennzeich-<br />
net die gegenwärtige Entwicklung der westdeutschen Kunst<br />
und Kultur“, und so geht es zwei Zeitungsseiten voll. Dieses<br />
Professorchen ist offenbar nur auf Pornographisches abonniert<br />
und erfährt vom übrigen nichts, weil ihn das nicht interessiert.<br />
Diese Schweine. Daß drüben gleichzeitig drei große Goethe-<br />
Ausgaben veranstaltet werden: die Hamburger, die Züricher Ar-<br />
temis-Ausgabe und eine bei Rowohlt – das wird nicht gewußt.<br />
Warum man dann hier westdeutsche, amerikanische, französi-<br />
sche, englische, italienische Filme laufen läßt, ist nicht zu ver-<br />
stehen. Der Kerl ist die Neu-Ausgabe von Goebbels. Bücher<br />
verlegen ist zunächst ein Geschäft, und der Verleger kann sein<br />
Geld verlieren, wenn er die Möglichkeit, seine Ware zu verkau-<br />
fen, falsch beurteilt. Ehe also ein solcher Unternehmer sich in<br />
diese Unkosten stürzt, Klassiker-Ausgaben, die pro Exemplar<br />
hunderte von Mark oder Franken kosten zu drucken, läßt er<br />
die Bedürfnisse danach von Fachleuten abschätzen. Auflagen-<br />
zahl und -höhe werden so zu einem Gradmesser der Bildungs-<br />
bedürfnisse einer Zeit. […]<br />
Abeken hat sich erledigt: der Titel stand in der Liste einer<br />
Goethe-Bibliothek, die der Besitzer, ein Dr. Weinreich in Senf-<br />
tenberg, für 1500 M verkaufen wollte. Ich schickte ihm die Liste<br />
dankend zurück mit der Bemerkung, daß ich dar<strong>aus</strong> nur den<br />
Band von Abeken 9 und ein Buch von Houben über Eckermann<br />
kaufen würde. Heute schreibt er, daß er die beiden für je 6.– M<br />
mir zusenden will. Das ist ein annehmbarer Preis. Erst wollte<br />
er die Sammlung nur geschlossen abgeben; aber offenbar hat<br />
sich niemand gefunden.<br />
252 253<br />
12. Mai<br />
Heute würdest Du merken, daß auch hier die Luft schwül<br />
und drückend werden kann; ich bin froh, von der Post wieder<br />
in meiner Stube angelangt zu sein. Da fällt einem der „Anstieg“<br />
auf meinen Berg doch recht schwer.<br />
Mitternacht: Eben kam ich an die letzte Seite des Buches<br />
H. H. Houben, „Goethes Eckermann – Die Lebensgeschichte ei-<br />
nes bescheidenen Menschen“, 1934.<br />
Das ist eine erschütternde Darstellung! Der rasche Verfall<br />
Weimars nach dem Tode Karl Augusts, 10 die völlige Kunstlosig-<br />
keit des Thronfolgers, der Geiz des reichen Fürstenh<strong>aus</strong>es, das<br />
den Mitarbeiter Goethes in Armut verkommen läßt, der kalte<br />
Betrüger Brockh<strong>aus</strong> 11 in Leipzig, der ihn um den größten Teil<br />
9 Vermutlich Bernhard Rudolf Abeken, Goethe in meinem Leben. Erinnerungen und<br />
Betrachtungen, Weimar 1904.<br />
10 Dem Großherzog von Weimar Carl August (1757–1828) folgte sein ältester Sohn Carl<br />
Friedrich (1783–1853) in der Regierung nach.<br />
11 Gemeint ist der Verlag F. A. Brockh<strong>aus</strong>, der Eckermanns Gespräche mit Goethe 1846<br />
druckte. Den Rechtsstreit um das Honorar führte Eckermann mit den damaligen