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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1964 Geschichte des Weimarer Theaters<br />

walt bei einem, so ist die Menge unterwürfig, ist die Gewalt<br />

bei der Menge, so steht der einzelne im Nachteil; dieses geht<br />

denn durch alle Stufen durch, bis sich vielleicht irgendwo ein<br />

Gleichgewicht, jedoch nur auf kurze Zeit, finden kann. Dem Ge-<br />

schichtsforscher ist es kein Geheimnis; in bewegten Augenbli-<br />

cken des Lebens jedoch kann man darüber nicht ins klare kom-<br />

men. Wie man denn niemals mehr von Freiheit reden hört, als<br />

wenn eine Partei die andere unterjochen will und es auf wei-<br />

ter nichts angesehen ist, als daß Gewalt, Einfluß und Vermögen<br />

<strong>aus</strong> einer Hand in die andere gehen sollen. Freiheit ist die leise<br />

Parole heimlich Verschworener, das laute Feldgeschrei der öf-<br />

fentlich Umwälzenden, ja das Losungswort der Despotie selbst,<br />

wenn sie ihre unterjochte Masse gegen den Feind anführt, und<br />

ihr von <strong>aus</strong>wärtigem Druck Erlösung auf alle Zeiten verspricht.“<br />

So ist es, so haben wir es erlebt – in einem Leben sind wir<br />

durch alle Regierungsformen gequält worden.<br />

15. April<br />

Zu dem <strong>Briefe</strong> Goethes an Schultz v. 10. Sept. 1820 wird ein<br />

Satz von Schubarth erwähnt, den Goethe in einem von dessen<br />

Büchern angestrichen hat: „Ich will nicht verhehlen, daß der<br />

Zug unsrer geistigen Richtung, wo fast alles von Kunst, Wissen<br />

und Religion, und allem, was sonst ins Privatleben gehörte, die<br />

Richtung ins Oeffentliche und vornehmlich zur Politik nimmt,<br />

mich anwidert. Eine Verflachung und Versandung muß notwen-<br />

dig dadurch herbeigeführt werden. Wie wir ja Griechen, Römer<br />

und Hebräer eben daran untergehen sehen, indem Politik, und<br />

was ihr ähnlich, jedes andere Bestreben des Einzelnen zuletzt<br />

verzehrt.“ Hätte der Mann noch den Hitler erlebt, konnte er die<br />

Deutschen den Griechen und Römern hinsichtlich deren Unter-<br />

gang durch Politisierung anschließen. Nur eben: es ist noch nie<br />

etwas <strong>aus</strong> der Geschichte gelernt worden.<br />

132 133<br />

18. April<br />

Nun möchtest Du eine „Geschichte des Theaters der Stadt<br />

Weimar“ griffbereit haben. Lies mal in Deinen Lexicis unter „Wei-<br />

mar“, ich vermute, daß da vielleicht etwas zu finden ist. Sonst<br />

sagst Du mal im Goethe-Schiller-Archiv, daß ein Bedürfnis nach<br />

einer Geschichte des Weimarer Theaters vorhanden sei und sie<br />

einen ihrer Mitarbeiter für diese Arbeit freistellen müssen. Das<br />

kann freilich einige Jahre dauern, wenn es gründlichst gemacht<br />

wird: ein Textband und ein Bilderband. Das lernt kosten, das<br />

läuft ins Geld, das wird teuer. Aber: ein Abnehmer ist doch schon<br />

gesichert. Und daß das immer ein „fortschrittliches“ Theater war,<br />

braucht nicht gedruckt zu werden; das wußten wir so schon.<br />

Welchen Wert könnte heute ein Pappkasten – oder mehrere –<br />

haben, in denen sämtliche Theaterzettel gesammelt wären, die<br />

die Besucher achtlos weggeworfen haben! Dazu die Autogramme<br />

großer Theaterleiter, Sch<strong>aus</strong>pieler, Komponisten, Dirigenten – es<br />

ist nicht <strong>aus</strong>zudenken, welche Vermögenswerte vergeudet wor-<br />

den sind. Hätte man 200 Jahre dort gelebt, auf Credit meinetwe-<br />

gen – man könnte alle Schulden <strong>aus</strong> diesen Kästen bezahlen.<br />

Und dann schrieb ich meine „Erinnerungen als Theaterportier am<br />

Hoftheater zu Weimar“, ein mehrbändiges Werk, gestrotzte voll<br />

von Anekdoten, Kritiken, Skandalgeschichten, weisen Bemer-<br />

kungen und ironischen Glossen. Dazu ein Bildband mit Bühnen-<br />

bildern, Portraits von Sch<strong>aus</strong>pielern, Dichtern, Kritikern, Inten-<br />

danten, Dirigenten, Bildern von den Besuchern in dem Wandel<br />

der Festkostüme von 200 Jahren, wie sie <strong>aus</strong> Sänften, Kutschen,<br />

Waagen steigen, Perücken einst – und heute wieder, gepudert,<br />

bemalt, auf Stöckelschuhen, in griechischen Sandalen, Gesich-<br />

ter, <strong>aus</strong> denen Würde, Selbstbewußtsein, harmlose Freude, Lan-<br />

geweile, Enttäuschung abzulesen sind. Das gäbe Bilder zur Psy-<br />

chologie des Menschen als Gesellschaftswesen. Diese Gesichter!<br />

Wirkliche (einige wenigstens) und zur Schau getragene. – Aber<br />

Du hast doch schon lange aufgehört, das Dir anzuhören.

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