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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1967 Spießer im Westen wie im Osten<br />

20. Juni<br />

Am Nachmittag traf mich Hermann (ehem. Rechtsanwalt)<br />

eifrig fragend, wo in der Literatur etwas von „fetten Männern“<br />

steht! Er meinte natürlich Shakespeare im „Julius Cäsar“ I. Akt<br />

2. Scene: „Let me have men about me that are fat…“ – „Ja<br />

aber woher hat das Shakespeare?“ – „Aus Plutarch, wo das fast<br />

ebenso lautet.“ – „Wieso kannte Shakespeare den Plutarch?“<br />

Die Leute haben keine Ahnung. Er wollte das wissen, weil eine<br />

ihm bekannte junge Ärztin, hier am Krankenh<strong>aus</strong>e beschäftigt,<br />

eine Doktorarbeit über „Fettsucht“ zu schreiben habe und man<br />

für die Einleitung den nur dunkel geahnten Ausspruch genau<br />

brauche, da doch bei einer Doktorarbeit „alles mit Quellenan-<br />

gaben belegt sein müsse“. Ich suchte also meinen Plutarch,<br />

in dem ich nach zwei Minuten die Stelle fand. Dort stehen die<br />

Sätze: „Was haltet Ihr vom Cassius. Mit gefällt er wegen seiner<br />

blassen Farbe gar nicht. – Ich fürchte mich nicht vor den Fetten<br />

und Gekräuselten, sondern vor den Bleichen und Hagern.“ 3 Das<br />

ist die historische Quelle für Shakespeare, der das mit fat und<br />

sleek-headed (mit „Schniegelköpfen“) wiedergibt.<br />

Es wäre eine ganz interessante Arbeit, solche Themen wie<br />

die pädagogische Wirkung des Plutarch – die sehr bedeutend<br />

war – zu bearbeiten. Es gibt deren noch mehr: Homer – Bi-<br />

bel – Aristoteles – Plato – Dante u.s.w. Noch vor 100 Jahren<br />

gab es in Venedig Gondelführer, die ganze Gesänge <strong>aus</strong> Dante<br />

oder Sonette des Petrarca rezitierten. So hat Plutarch durch<br />

Jahrhunderte gewirkt. Eine Zeit lang spielte Goethe bis etwa<br />

in den Anfang dieses Jahrhunderts diese Rolle, bis sich dann<br />

der „Bildungsjahrmarkt“ etablierte, der T<strong>aus</strong>ende Dinge anbot,<br />

viele ohne Nährwert, zum schnellen Verbrauch, um jeweils das<br />

„Neuste“ der raschen Abnutzung zuzuführen. Und manches<br />

massenhaft Verbreitete, wie etwa Hitler „Mein Kampf“, stand<br />

3 Lebensbeschreibungen. Caesar.<br />

in Bücherschränken ungelesen, vor oder neben Cigarrenkisten<br />

und Likörflaschen.<br />

202 203<br />

21. Juli<br />

Berichten soll ich Dir über das Treffen? Ja, schön. [...] Ge-<br />

samteindruck: kleinbürgerlicher Gesichtskreis, sehr kleinbür-<br />

gerlich, spießerhaft. Das Zentralgestirn *** erwähnte als Kenn-<br />

zeichen ungesunder westlicher Zustände z.B., daß eine Reine-<br />

machfrau nach Mallorka reist. Das ist doch spießig, wen geht<br />

es etwas an, wofür jemand das reichlich verdiente Geld wie-<br />

der <strong>aus</strong>gibt! Daß so ein pensionierter *** im Monat 1190 Mark<br />

Rente bezieht, wurde nicht als „ungesund“ empfunden. „Ich<br />

hab im letzten Jahre allein 32 Pakete geschickt.“ (Erwähnens-<br />

wert!) – Für die klugen Überlegungen der vom weitblickenden<br />

Egoismus gelenkten Maßnahmen der amerikanischen Wirt-<br />

schaftsführer mußte ich erst einigen – wenigen – die Augen öff-<br />

nen. Daß man durch die raffinierte Erziehung zum Konsumenten<br />

den hochbezahlten Arbeitern den Überschuß geschickt wieder<br />

abnimmt, um die Rotation des Kapitals zu beschleunigen – wo-<br />

mit Riesengewinne verbunden sind, daß man die Entdeckun-<br />

gen von Karl Marx zum großen eigenen Vorteil anzuwenden<br />

versteht – davon haben diese Leute keine Ahnung. Die Haupt-<br />

sache war wohl eine recht opulente Gasterei, die den Westlern<br />

einen reichlich falschen Eindruck geben mußte. Mein alter Satz:<br />

„Was nicht gut ist zum Leben, ist gut zur Erkenntnis“ hat sich<br />

wieder mal bestätigt. Das ist der etwas dürftige Gewinn dieser<br />

Begegnung für mich, und ich hätte besser getan, Dich zum Bus<br />

zu begleiten. Aber nun ist es einmal geschehen, und ich sah,<br />

mit wie wenig Weisheit man auch <strong>aus</strong>kommen kann.<br />

23. Juli<br />

Daß es viele solche Spießer gibt – im Westen wie im Osten<br />

– ist nicht zu bezweifeln, aber, und dieses Aber will bedacht

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