Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1965 Ost und West<br />
chengymnasium, mit reichlicher Ausstattung an physikalischen<br />
Geräten zur Betrachtung neuster Ergebnisse der physikalischen<br />
Forschung, sehr angenehme und interessante Arbeit. Gestern,<br />
Freitag, reiste ich zurück nach Nürnberg, 685km D-Zug. Ich wähl-<br />
te die Fahrt über Essen–Köln–Bonn–Bad Godesberg–Koblenz–<br />
Bingen–Frankfurt–Würzburg, sah also das Ruhrgebiet und das<br />
wundervolle Rheintal, die Laubwälder in beginnender Färbung<br />
im Glanze der Sonne. Freilich: das Beste fehlte: Du hättest die<br />
ganze Reise mitmachen sollen, Du hättest mit in den Kölner<br />
Dom gehen müssen. Ich wählte die Zugverbindung mir so <strong>aus</strong>,<br />
daß ich in Köln etwa 2 ½ Stunde Zeit hatte, den Kölner Dom<br />
zu besuchen. Dazu hat man keine weiten Wege zu laufen: man<br />
überschreitet vor dem Bahnhofe eine nicht sehr breite Straße<br />
und ist an der Domtreppe. Der Eindruck bleibt unvergeßlich.<br />
Die hoch aufstrebenden Säulen tragen ein gotisches Rippen-<br />
gewölbe, farbige Fenster in glühenden Tönen von der Sonne<br />
durchleuchtet, daß auf den Bänken und dem Fußboden – Mo-<br />
saik – die bunten Lichter spielten. Die Domschatzkammer war<br />
geöffnet, seltene alte wertvolle Pergamenthandschriften, mit<br />
Edelsteinen geschmückte Schatztruhen und Abendmahlsgeräte<br />
von Silber und Gold, Reliquien, ich sah in einem Ziergefäße ei-<br />
nige Knochen der heiligen Almanda; Gläubige knieten vor ei-<br />
nem Marienaltar, vor dem sehr viele Kerzen brannten und den<br />
Sonnenglanz übertreffen wollten. Zwei Dominikanermönche in<br />
roten Kutten hielten schweigend ihre Sammelbüchsen den Be-<br />
suchern hin, ohne etwa aufdringlich sich zu gebärden. Ein Au-<br />
gustinermönch in brauner Kutte ging vorüber. Es war ein leben-<br />
dig gewordenes Mittelalter. – Dann ging es mit Aufmerksamkeit<br />
auf der Straße durch die Ströme von Automobilen, und die alte<br />
Zeit versank im R<strong>aus</strong>che der Modernität. […]<br />
Der äußerste Termin der Rückreise ist der 3. Oktober. An<br />
diesem Tage muß ich die Grenze überschreiten, natürlich wie-<br />
der in Gutenfürst. […]<br />
Daß dieser ganze Betrieb hier „blendend“ ist, kann man<br />
nicht leugnen – aber: nur für den, der sich den glitzernden<br />
Sand in die blöden Augen werfen läßt. Davor bin ich sicher.<br />
Die Hintergründe mögen, rein verstandesmäßig gesehen, inte-<br />
ressant sein – wer von einer Goetheschen Gesamtschau erfüllt<br />
ist, sieht daß der Teufel mit seiner scharfen Intelligenz sehr leb-<br />
haft am Werke ist.<br />
7305 <strong>Waldheim</strong>, Turmstr. 7, den 4. Oktober, Montag<br />
Mit dem <strong>Briefe</strong> geht ein Paket, enthaltend: Flesch (zwei<br />
Bände) 10 + 1 kg Bananen + 1 Bluse für Dich (weiß) neu, die hof-<br />
fentlich passen wird + zwei Sätze Pirastro-Saiten, ein Satz ist<br />
für Stups und ein Satz ist für Deine Geige, es darf nicht die<br />
Geige vermodern und der Teufel Triumphe feiern, + 1 Schachtel<br />
Eichenblätter + 1 Viol + 1 Kolophonium + 1 kl. Erdnußschach-<br />
tel + 1 Kakao. – Hoffentlich geben auf beiden Geigen die sehr<br />
teuren Saiten recht angenehmen Klang. Eine in der Liste ange-<br />
zeigte G-Saite in Gold (echt) war leider nicht zu haben, sonst<br />
hättet Ihr diese erhalten, so nehmt sie in Silber.<br />
5. Oktober<br />
Ost und West sind beide Kriegskrüppel; der Unterschied<br />
ist darin, daß der östliche sich mühselig seine Krücken sel-<br />
ber schnitzt, während der westliche vergoldete Stützapparate<br />
gleich erhält – leihweise. Damit kann er auf den östlichen her-<br />
absehen, ohne daß er sich etwas darauf einzubilden hat.<br />
6. Oktober<br />
Zu dem Ost-West-Konflikt ist mir auf dieser Reise man-<br />
ches deutlich geworden, was nicht in den Zeitungen zu lesen<br />
ist. Die Amerikaner bauen da einen im Bewußtsein der West-<br />
10 Carl Flesch, Die Kunst des Violinspiels, Berlin 1923, 1928<br />
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