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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1961<br />

jedes Zeitalter ein Prisma ist – jeweils verschiedener Winkelver-<br />

hältnisse – das das Licht, das von den Dingen und den Men-<br />

schen <strong>aus</strong>geht immer wieder in andrer Weise bricht. Dieselben<br />

Menschen, Ideen, Vorgänge projizieren sich durch die Apparate<br />

der jeweils modernen Weltanschauungen in sehr verschiedener<br />

Weise. Und da sich diese Apparate dauernd wandeln, ändern<br />

sich die Bilder der Welt und der Menschen un<strong>aus</strong>gesetzt. Und<br />

nicht nur diese: Machtverhältnisse wandeln sich, kein Stein<br />

bleibt auf dem andern, Städte werden gebaut und zerstört.<br />

Eins bleibt: das ist das Schöne. Trotz aller weltanschaulicher<br />

Versuche, auch dieses in das Prokrustesbett der durch die je-<br />

weilige Macht sanktionierten Confessionen zu zwingen.<br />

20. Februar<br />

Ob ich den Stein „zum Guten Glück“ oder „zum guten<br />

Glück“ erkannte? Neieiein, ich las das auf der Karte – aber wie<br />

ich eben beim Nachsehen feststelle, steht da bloß: „Weimar,<br />

Stein des Glücks“. Es ist der Stein, den Goethe mit Beratung<br />

Oesers (bei dem Winckelmann in Dresden gewohnt hatte, ehe<br />

Oeser als Akademiedirektor nach Leipzig ging, wo Goethe ihn<br />

als Student kennenlernte und bei ihm zeichnete) am 5. April<br />

1777 errichtete. Der Kubus stellt „die feste Individualität“ dar<br />

und die Kugel den „Einfluß des Glücks“ auf diese, den Einfluß,<br />

den Verhältnisse und Menschen von außen unvorhersehbar auf<br />

das Individuum <strong>aus</strong>üben. Es ist das Monument des modernen<br />

Individualitätsbewußtseins. Es ist das Gegensymbol zum christ-<br />

lichen Kreuz. Das Denkmal ist ein Teil der gesammelten Werke<br />

Goethes, in dem er nicht in Worten, sondern im Symbol seine<br />

damalige Überzeugung <strong>aus</strong>spricht.<br />

Die Mond-Venus-Konstellation hab ich auch von meinem<br />

Fenster <strong>aus</strong> gesehen.<br />

Theoretisch ist der Satz, es sei undenkbar ohne weltan-<br />

schauliche Gebundenheit zu schreiben, schwer anzuzweifeln.<br />

Denn es ist eben jeder in seinen Anschauungsformen durch<br />

Daimon und Tyche, durch Individualität und „Glück“ bestimmt,<br />

ganz gleich, ob er sich dessen theoretisch bewußt ist oder<br />

nicht. Nur geschieht das Merkwürdige, daß die Schreiber mit<br />

theoretisch klarem Bewußtsein ihrer weltanschaulichen Stel-<br />

lung den normalen gesunden Menschen weniger ansprechen<br />

als die andern. Beweis: Mörikes Frühlingslied („Frühling läßt<br />

sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“) ist so ein<br />

theoretisch nicht beengter Jubelruf eines gesunden Menschen<br />

– und spricht jeden nicht Beschränkten an. Das kann man von<br />

den weltanschaulich bewußt gebundenen Gesangbuchsliedern<br />

nicht behaupten. Ferner: Mozarts Melodien, Goethes Gedichte<br />

haben schon Leute sehr verschiedener religiöser, politischer,<br />

philosophischer Dogmatiken, die in den Zeiten wechselten,<br />

beglückt und werden das weiter tun. Aber schon die formell<br />

doch einwandfreien Lieder des Börries von Münchh<strong>aus</strong>en ster-<br />

ben mit einem Verein, wie der „Stahlhelm“ war oder ist, wenn<br />

nämlich dieser „Stahlhelm“ ein so unmodernes Kleidungsstück<br />

sein wird wie eine Ritterrüstung <strong>aus</strong> der Zeit vor Erfindung des<br />

Schießpulvers.<br />

Warum das so ist? Wer weiß das? Höchstes Leben ist zu-<br />

weilen wohl meist im Unbewußten. Und schließlich kommt es<br />

auf das Leben an und nicht auf theoretische Interpretationsbe-<br />

mühungen.<br />

52 53<br />

7. März<br />

Mörikes Frühlingslied<br />

Daß das Hören des Menuhin auf Stupsens Spiel wirkt, ist<br />

zweifellos. Ich kann mir vorstellen, wie sie sich daran gefreut<br />

hat und freue mich Euretwegen mit. Da war es nicht nötig, nach<br />

der Fernsehübertragung zu laufen, die nicht einmal stattgefun-<br />

den hat. Der Satz „Halte Dich im Leben an das Schöne!“ ist auf<br />

alle Fälle richtig. – Welch ungeheurer Fleiß hinter dem Spiel des<br />

Menuhin stehen mag, das werden sich die wenigsten Konzert-

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