Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1964 <strong>Waldheim</strong>er Heimatfest<br />
28. Juni<br />
Gestern Sonnabend abend sah ich in der Kirche den Film<br />
„Albert Schweitzer“, von 8 –½ 11 h auf Kirchenbank! Der Strei-<br />
fen ist eine Autofilmoskopie des Lebens und Werkes des gro-<br />
ßen Mannes, das unsereiner kennt; für die, so es nicht kennen,<br />
eine staunenweckende Autobiographie in Bild und Wort (er<br />
spricht den ganzen Film selbst), die zusätzlich erkennen läßt,<br />
daß der Mann nicht nur groß ist in seiner Orgelkunst, seiner<br />
medizinischen Arbeit, seiner Naturliebe, sondern daß er auch<br />
ein Meister ist in der Kunst der Propaganda.<br />
1. Juli<br />
Es scheint nur so, daß ein Rentner müßig sei: Ich käme<br />
nicht mal ins Kino. Und hab so ein hoch entwickeltes Talent<br />
zur Faulheit. Aber an die alten Talente denkt niemand, nur an<br />
die jungen. Die Arbeit in Großbauchlitz kann gar nicht bezahlt<br />
werden, weil das einiges kosten würde und weil die Leute gar<br />
kein Geld haben. Ich hätte das ablehnen können, aber erstens<br />
dauerten mich die Steine und die schönen Stücke von Verstei-<br />
nerungen und zweitens gibt es doch manche Kinder, die da-<br />
bei sich freuen.<br />
23. August<br />
Heute sah ich mir den „Festzug“ 15 an. Man kann sagen: „Er<br />
übertraf alle Erwartungen.“ Denn obwohl ich mir einigen Mist<br />
vorgestellt hatte – die Wirklichkeit bot mehr. Ich wundre mich<br />
nicht mehr darüber, daß der Dr. Kunis von den Verhandlungen<br />
darüber erkrankte. Du kannst Dir an Hand der Festschrift eine<br />
Übersicht über das Gezeigte verschaffen, keine Vorstellung:<br />
an solche Erscheinungen reicht keine Phantasie. In der „Fest-<br />
schrift“, die der Oberschul-Weber verfaßt hat, wird nur beiläufig<br />
15 Zum Heimatfest der Stadt <strong>Waldheim</strong>.<br />
erwähnt, daß man „Material“ <strong>aus</strong> der Sammlung des Dr. Bütt-<br />
ner 16 benutzt habe. Wahrscheinlich hat er also auch versagt.<br />
Festschrift und Festzug waren gleich wertvoll als Dokumente<br />
der Zeit. – Und da muß mir die Erinnerung an die Panathenäen<br />
in den Friesfeldern der Akropolis aufsteigen, die einen Festzug<br />
nach der damaligen Wirklichkeit im Marmor abbildeten. Welch<br />
ein Kontrast zwischen echter Schönheit und jämmerlichen Ka-<br />
rikaturen. Zur Verspottung des „Bürgertums“ mußte die lange<br />
Tochter von *** als „Gouvernante“ in langen, schwarzen, wohl<br />
noch von ihrer Großmutter geerbten sehr guten Kleidern mit vier<br />
Mädchen spazieren. Nur ein Bauer, der einen alten Planwagen<br />
führte, tanzte <strong>aus</strong> der Reihe und rief vernehmlich: „Ja das waren<br />
noch Zeiten!“ Und es war überzeugend, wie er das sagte.<br />
24. August<br />
Daß ich mir an der Ecke Dresdener und Mortelstraße den<br />
Festzug ansah, war alles. Wir sind danach die Mortelstraße hin-<br />
ter gegangen. Da besah ich mir mein Denkmal. Wie der Bürger-<br />
meister Dreßner die auf sein Wort auf den Markt gepflanzten<br />
Linden als das ansah, was von seiner Tätigkeit hier bliebe, so<br />
habe ich an der Mortelstraße eine Reihe von Akazien, die der<br />
damalige Amtshauptmann Dr. Drechsel auf meine Veranlassung<br />
pflanzen ließ. Dann gingen wir die Mortel-Rodelbahn hinauf<br />
nach Schönberg. Dort sind landschaftlich schöne Bilder zu se-<br />
hen. – Von der „Verkehrsdichte“ auf dem Markte bei der Abfahrt<br />
der Autobusse nach Dresden kann man sich kaum eine Vorstel-<br />
lung machen. Seltsam, wie der Rummel die Leute anzieht.<br />
16 Johannes W. E. Büttner (1916–2000), Arzt und Heimatforscher. Seit 1996 Ehrenbür-<br />
ger der Stadt <strong>Waldheim</strong>.<br />
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