Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1969 Spargelkauf<br />
seines Honorars bringt, das er <strong>aus</strong> seiner Arbeit „Goethes Ge-<br />
spräche“ zu bekommen hat – das gibt ein entsetzliches Bild <strong>aus</strong><br />
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wie suchten diese Gau-<br />
ner in Hofuniform oder im glattgebügelten Bürgerrock zu impo-<br />
nieren, sich in der Hofloge im Theater oder im Ehrenstuhl der<br />
Kirche – einem anderen Theater – bestaunen zu lassen! Daß Re-<br />
volutionen als eine Art von socialem Erdbeben diese Welt zum<br />
Einsturz brachten, ist völlig verständlich. Aber, es entsteht im-<br />
mer von neuem die peinliche Frage an jeden Fürsten, Papst,<br />
Parteiführer: „Durch welche Gaunertricks sind Sie so reich ge-<br />
worden?“ Daß dieser Zustand in der ganzen langen Geschichte<br />
der Menschheit sich so gleich blieb wie die Mode, auf den Hin-<br />
terbeinen zu laufen, wird schon durch die Geschichte des Aris-<br />
tides bewiesen, den man den Gerechten nannte: sein Beiname<br />
erklärt sich <strong>aus</strong> der ungeheuren Seltenheit dieser Erscheinung,<br />
daß mal einer nicht dem Egoismus erlegen war.<br />
16. Mai<br />
Sehr enttäuscht kamen hier zwei zurück, die mit Auto nach<br />
der Lößnitz bei Dresden fuhren, Spargel für ein Festessen ein-<br />
zukaufen: ein Pfund war die ganze Beute. Rechnet man da die<br />
Unkosten an Zeit und Fahrgeld dazu, so wird das eine sehr<br />
teure Speise. Diese Feinschmeckerei wird den Leuten abge-<br />
wöhnt. Sie war freilich symbolisch für den sogenannten „Klas-<br />
senstaat“, da es gewissermaßen zum Unterstreichen besseren,<br />
bürgerlichen Wohlstandes gehörte, Spargel in größeren Men-<br />
gen einzukochen oder eine „Spargelkur“ zu machen. Oder we-<br />
nigstens zu verkünden, daß man Spargel eingekocht habe.<br />
Auch hier gab es gelegentlich auf dem Wochenmarkte das Bild<br />
deftigen holländischen Wesens, wie es Niederländer zuweilen<br />
Inhabern des Verlages, den Brüdern Friedrich und Heinrich Brockh<strong>aus</strong>, vgl. Hein-<br />
rich Hubert Houben, Ein Kriminalprozeß in dem erwähnten Buch, S. 316–328.<br />
gemalt: die bessere H<strong>aus</strong>frau, die auf dem Markte kauft, die<br />
Magd neben oder hinter sich, die diese Vorräte in den bauchi-<br />
gen Korb verstaut zu einem schönen farbigen Stilleben – und<br />
das Ganze ein Stilleben einer seelischen Haltung.<br />
254 255<br />
19. Mai<br />
Zweifellos ist es besser, an Deinen Übersetzungen weiter<br />
zu arbeiten, statt den Meinungsmarkt des Radiokastens zu be-<br />
suchen. […]<br />
Dr. Toepel begrüßte es sehr, daß jetzt so ein Apparat bei<br />
mir steht. Naja. Die Zeitgenauigkeit meiner Uhr ist mir immer<br />
noch das angenehmste. Den Vortrag über „Freizeit“ hab ich<br />
nicht gehört. Schon die Vokabel ist offenbar neueren Datums.<br />
Ich könnte mich nicht erinnern, das Wort bei Goethe etwa ge-<br />
lesen zu haben. Erst Schopenhauer spricht vom Gegensatz-<br />
paar Not – Langeweile. Wenn also die Not gewichen ist, tritt<br />
die Schwierigkeit auf, die Langeweile zu töten. – Dr. Toepel hat<br />
in Weimar als Ersatz für die „Räuber“ von Schiller – Schau-<br />
spieler waren erkrankt – ein modernes Stück ansehen müssen,<br />
die „Aula“ von einem gewissen Kant, in dem in schändlicher<br />
Weise frühere Schule verspottet werde. Man habe sich nicht<br />
gescheut, den sächsischen Landesbischof Noth (Neffe von Frl.<br />
Noth 12 ) auf der Bühne zu karikieren. Die Ärzte hatten nicht den<br />
Mut, diese Vorstellung <strong>aus</strong>zupfeifen oder aufzubrechen, ehe<br />
der Dreck zu Ende war. Was doch die menschliche Natur alles<br />
<strong>aus</strong>halten kann.<br />
Goethe-Gedichte – schlecht vorgetragen, z.B. „Wie herrlich<br />
leuchtet / Mir die Natur!“ 13 – sogar fehlerhaft, hörte ich ein Weil-<br />
chen an und lernte das Abdrehen.<br />
12 Die <strong>Waldheim</strong>er Lehrerin Mathilde Noth (*1877) war eine Kollegin <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>s.<br />
13 Aus Goethes Gedicht Mailied.