Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

1972 Berühmte Sachsen
dete eine gut arbeitende deutsche Post, gründete den Welt-
postverein und sagte: si vis pacem, para concordiam [wenn du
Frieden willst, sorge für Eintracht]. 12 Auch die Postkarte ist seine
Erfindung. Wie würde er heute staunen über den Zeitaufwand
der Post bei der Beförderung eines Briefes! Ich glaube, die Zug-
vögel besorgten das schneller; man sollte sich Brieftauben hal-
ten. Aber diese würden vielleicht abgeschossen.
18. April
Dr. Toepel gab mir einen Band von Franz Kafka zu lesen mit
– ich verstehe von dem, was ich bisher las, nichts. Ich las ei-
nige Kapitel des Romans „Das Schloß“, zu dem mir offenbar
der Schlüssel fehlt, so daß ich durch diese Lektüre in den Zu-
stand völliger Hilflosigkeit gerate. Vielleicht ist das die Absicht
des Autors.
21. April
Die Lektüre des für mich schwierigen Kafka bestärkt mich
nur noch mehr in meinen Ahnungen. Ich werde am Sonntag mal
Dr. Toepels Ansicht zu Kafka zu erfahren suchen. Aber vielleicht
weicht er auch aus. Ich kenne niemand mehr, mit dem man
sich unbefangen unterhalten kann und begreife Goethes Alters-
meinung, daß der alte Mensch allein steht, er wird nicht mehr
von seinesgleichen beurteilt und – das ist meine Ansicht – er
erfährt auch die Urteile von seinesgleichen nicht. Die „Zeitge-
nossen“ sind alle jünger, haben ganz andere Vorstellungen als
Basis ihrer Urteile, und die „Alten“ sind ihnen mehr als gleich-
giltig, sie sind „abgeschrieben“, altes Eisen, Müll, Umweltver-
schmutzung.
12 Abwandlung von „si vis pacem, para bellum“ = „wenn du Frieden willst, rüste
zum Kriege“.
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16. Mai
Eben erhielt ich die Nachricht, daß Irene gut in Nürnberg
eingetroffen ist. Von Dir kam keine Post. Von Peter [Weiße]
eine Anfrage nach allen „berühmten Leuten Sachsens“, die ich
nicht so aus dem Ärmel beantworten kann, wenn ich das ge-
nau nehmen will. Denn Rich. Wagner, H. Schütz, Kolbe, Klin-
ger, Kuehl, Bantzer, George Bähr, König Johann, Treitschke, Be-
bel, Ulbricht, die Neuberin, Lessing, Fichte, Körner, Kügelgen,
Marschner, Nietzsche, Lamprecht, Agricola, Apianus, Beckert,
Carus, Rietschel, Richter (Ludw.), Julius Otto, Silbermann, Gott-
sched, Nieritz, Naumann, Händel, Kuhnau, Palitzsch, [an den
Rand geschrieben:] Oberreit, Lehmann, Peschel, Pöppig, Rin-
gelnatz, Bierbaum, Rob. Schumann, Fürst Pückler – die mir so
auf Anhieb eben einfallen, genügen nicht; da gibt es sicher
noch manchen, dessen Namen mir jetzt nicht gegenwärtig ist.
Ein guter Computer müßte allerdings augenblicklich alle Quer-
verbindungen verknüpfen, z.B. auf Fragen wie die folgenden
blitzschnell antworten: welche Maler, Architekten, Bildhauer,
Philosophen, Ärzte, Erfinder, Chemiker, Physiker u.s.w. wa-
ren Sachsen? Welche waren blond? Schwarz? Raucher? Trinker?
Junggesellen? Starke Esser? Arme Schlucker? Erfolgsmenschen?
Vergessene Alte? Pilzsucher? Tierfreunde? Wanderer? Gartengo-
kel? Sportler?
25. Mai
Es wäre vielleicht im Laufe der Zeit belehrend, die in der
Zeitung abgedruckten Photographien mit den Physiogno-
mien der Macht zu sammeln (mit Namen und Zeitangabe).
Das müßte durch einige Jahre oder Jahrzehnte fortgesetzt wer-
den. Dabei könnten sich gemeinsame Züge zeigen, die zwei-
fellos vorkommen – ebenso wie Gruppenbilder von Polizisten
anders aussehen dürften wie die von einer Bäckerinnung oder
von Gärtnern.