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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1973 Zerstreute Hefte<br />

auf den Straßen und im Hauptbahnhofe, sinnlose Schüsse in<br />

das Glasdach des Bahnhofes, Züge überfüllt von Soldaten, Ge-<br />

schrei an jeder Haltestelle 9 – keine Ahnung dessen, was kom-<br />

men sollte.<br />

23. November<br />

Heute sollte der Ofenrußer kommen – ja er sollte, aber er<br />

kam nicht. Also hab ich den Ofen angeheizt. Denn wozu soll<br />

ich in der kalten Stube warten, da verschieben wir das. Früher<br />

machte unsereiner das selber. […]<br />

Die Folgen der Ölsperre kann niemand mehr überschauen –<br />

hier werden Schäden von unerhörtem Ausmaße angerichtet. Die<br />

H<strong>aus</strong>haltheizung und die Spazierfahrten im Auto sind nicht ein-<br />

mal das Wichtigste; man denke an ölverbrauchende Betriebe,<br />

die stillgelegt werden, an den riesigen Lastautoverkehr von Han-<br />

del und Versorgung, dieser Krieg greift in wenigen Wochen in<br />

Millionen Häuser schädigend ein. Wenn man sich jetzt auch wie-<br />

der auf die Kohlenvorräte besinnt, werden diese nicht im Augen-<br />

blick verfügbar, weil die Ölöfen dazu nicht verwendbar sind.<br />

24. November<br />

Heute begegnete mir eine frühere Schülerin <strong>aus</strong> dem Jahre<br />

1928 auf dem Markte; das ist also 45 Jahre her. Sie erzählte,<br />

daß sie sich von ihren alten Schulheften jener Zeit wieder eins<br />

hervorgesucht habe, in dem damals von mir das Thema erör-<br />

tert war: „Pflanzen <strong>aus</strong> aller Welt blühen an unserem Fenster“.<br />

Sie blühten damals wirklich auf den Fenstern des Klassenzim-<br />

mers. Daran wurde allerhand <strong>aus</strong> der Pflanzengeographie, der<br />

9 <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>s Sohn Hans schildert diesen Tatbestand in einem Brief an Fritz Mierau<br />

vom 22. Februar 1994: Von Leipzig nach <strong>Waldheim</strong> fuhren keine Züge mehr, Ar-<br />

thur <strong>Pfeifer</strong> sprach mit den Eisenbahnern, und Vater und Sohn durften mit einem<br />

Militärzug mitfahren.<br />

Physiologie, der Botanik, der Geschichte gelernt – und, wie sich<br />

zeigt, mit dauerhaftem Erfolge. Sie erzählte von einer Reise im<br />

letzten Sommer nach Mittelasien, von der sie allerhand Zwie-<br />

belgewächse mitgebracht habe, die sie dort <strong>aus</strong> dem Boden<br />

der Steppe <strong>aus</strong>gegraben und gut nach H<strong>aus</strong>e gebracht habe –<br />

alles in Erinnerung an jenen „Schulunterricht“. Das stand aller-<br />

dings nicht im „Lehrplan“, ist auch heute dort nicht vorhanden.<br />

Damals konnte sich der Lehrer noch etwas einfallen lassen. Es<br />

zeigt sich dabei, daß die genaue Darstellung klar erfaßbarer<br />

Einzelheiten, an deren Betrachtung das Verstehen allgemeiner<br />

Gesetzmäßigkeiten entwickelt wird, die am meisten einpräg-<br />

same Wirkung hat.<br />

29. November<br />

Die Schülerin von 1928/30 hieß damals Wagner und wohnte<br />

in der Richzenhainer Straße. Ihr Vater war, wenn ich recht erin-<br />

nere, in einer Schuhfabrik beschäftigt. Ich hab keine „Gesam-<br />

melten Werke“ vorzuweisen, sondern nur das, was man unter<br />

dem Titel „Zerstreute Hefte“ bezeichnen kann.<br />

3. Dezember<br />

Für heute war eine gewisse Milderung der Kälte angesagt,<br />

aber noch merke ich nichts davon. In Bayern sollen stellen-<br />

weise 27 Grad Kälte gemessen worden sein. Im Jahre 1890 gab<br />

es einen ähnlichen kalten Winter. Damals ist mir zum ersten<br />

Male der wunderbare Bau kleinster Schneeflocken deutlich ge-<br />

worden. Ich fing auf meiner Schiefertafel einige kleinste Stern-<br />

chen auf und betrachtete sie mit der Lupe, die stets auf dem<br />

Arbeitstische meines Vaters lag. Dabei erlebte ich jenes „Stau-<br />

nen“, das Plato als den Beginn der Wissenschaft ansah. Seit<br />

jener Zeit Platos hat sich die Aufgabe des Lehrers nicht gewan-<br />

delt, eben jenes Erlebnis des Staunens hervorzurufen. Nicht al-<br />

len ist dies bekannt.<br />

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