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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1960<br />

da, die 8–10 M Eintrittsgeld bezahlen können? Ist das „Volk“,<br />

dessen oft widrige Arbeit man stillschweigend als selbstver-<br />

ständlich hinnimmt, auch zu den „Menschen“ zu zählen? Erst<br />

wenn die Scheißgrube überläuft, wenn man auf dem Glatteis<br />

die Knochen bricht, regt man sich über die auf, die das hätten<br />

verhüten sollen. Aber ich wollte ja nichts mehr sagen.<br />

28. Mai<br />

Gestern kam ein Schüler der 10. Klasse der Hanno-Günter-<br />

Schule zu mir, ein Enkel des früheren Polizeikommissars Voigt 19 ,<br />

der ein kreuzbraver Mensch war. Der Junge suchte Material<br />

zur Geschichte von <strong>Waldheim</strong>. Rührend, wie so etwas immer<br />

mal wieder lebendig wird, dieses Interesse am Speziellen ei-<br />

ner Vergangenheit, die doch sehr lückenhaft überliefert ist. (Ich<br />

könnte Dir Dinge sagen, die keiner weiß!) Er muß nach seinem<br />

19 Als nach dem Ende des NS-Regimes eine Bürgschaft nötig war, schrieb <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>:<br />

Gutachten<br />

„<strong>Waldheim</strong>, den 16.4.1946<br />

Herr Polizei-Kommissar Paul V o i g t ist mir <strong>aus</strong> seiner dienstlichen Tätigkeit seit<br />

vielen Jahren bekannt. Bereits vor 1933 unterschied er sich vom durchschnittli-<br />

chen Polizeibeamten durch eine feine Kunst der Menschenbehandlung. Seine Ar-<br />

beiterfreundlichkeit, sein Mitgefühl mit den Bedrückten werden vielen noch in<br />

Erinnerung sein. Um ein Beispiel anzuführen: Es war immerhin ein seltnes Bild,<br />

zu sehen, wie der Polizeigewaltige im Dienst seine Zigaretten an Arbeitslose ver-<br />

teilte, die gerade an der Marktecke standen. Im Jahre 1933 wurde Herr Voigt sel-<br />

ber verhaftet; die neuen Machthaber fühlten sehr deutlich, daß dies nicht ihr<br />

Mann war. Ich selbst wurde am 17. März 1933 wegen Gefährdung des nationalen<br />

Aufbaues <strong>aus</strong> dem Dienst entfernt. Herr Voigt blieb mir gegenüber unverändert<br />

freundlich, während mancher andere es streng vermied, mit mir gesehen zu wer-<br />

den. Bei der Beurteilung der Bedeutung der Zugehörigkeit zur NSDAP möchte<br />

doch klar unterschieden werden, ob jemand in seiner täglichen Lebenspraxis na-<br />

tionalsozialistische Methoden angewendet oder ob er nur Parteibeträge bezahlt<br />

hat, wie man sie etwa in eine Versicherung einzahlt, um gegen gewisse Unfälle<br />

geschützt zu sein. Dieser letzteren Gruppe von Parteigenossen sollte baldigst die<br />

Möglichkeit gegeben werden, ihren guten Willen, ihre Kenntnisse und Begabun-<br />

gen in den Dienst des Neuaufbaues zu stellen. <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong> Schulleiter“.<br />

Mittelschulabschluß 2 praktische Jahre durchmachen – und will<br />

dann Geschichte studieren. Davor hab ich ihn allerdings ge-<br />

warnt und werde diese Warnung wiederholen. Denn dieser Be-<br />

trieb ist sehr einseitig, wie er das zu 95% immer war. Man soll<br />

sich nicht dazu drängen, durch Brillen zu gucken, die jeweils<br />

Mode sind, es gibt noch genug Dinge auf der Welt, an deren<br />

Anblick mit eigenen Augen man sich freuen mag.<br />

36 37<br />

3. Juni<br />

Heute früh war das Amselnest leer! Ich erschrak zunächst<br />

und fürchtete, ein Räuber habe die fünf kleinen Vögel geholt.<br />

Aber dann sah ich sie hinter dem H<strong>aus</strong>e auf der Wiese herum-<br />

hüpfen – die Alten immer in der Nähe – dann die Erdbeeranlage<br />

des H<strong>aus</strong>wirtes [Döhlert] besichtigen. Nach den Mitteilungen im<br />

Vogelbuche stimmt das auch annähernd, da werden etwa 13<br />

Tage als Dauer des „Nestlingslebens“ angegeben. Heute abend<br />

will ich mit dem Entwickeln beginnen. Ich bin sehr gespannt,<br />

ob etwas Gescheites und Brauchbares her<strong>aus</strong>kommt. Das dau-<br />

ert bloß seine Zeit, weil diese panchromatischen Platten und<br />

Filme jeder 10 Minuten in absoluter Finsternis entwickelt wer-<br />

den müssen. Jedenfalls wenn die Lichtverhältnisse einigerma-<br />

ßen <strong>aus</strong>reichend waren bei den Aufnahmen, dann müßte eine<br />

recht nette Serie von Bildern her<strong>aus</strong>kommen. Ich fürchte nur<br />

immer die Reflexwirkungen der Fensterscheibe, hinter der das<br />

Nest steht. Na, wir werden das ja heute abend sehen.<br />

6. Juni<br />

Amselfotografie<br />

Gestern, zum 1. Feiertag, ging ich freiwillig zu einer „Kund-<br />

gebung“ junger Pioniere auf dem Markte. Es sprach nämlich<br />

der frühere Rennfahrer Manfred von Brauchitsch, der 1954 von<br />

drüben nach hüben überging. Er begründete das mit dem ganz<br />

offenen Wiederaufleben des Nazismus in der Bundesrepublik.<br />

Er stammt <strong>aus</strong> einer alt-preußischen Offiziersfamilie, sein On-

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