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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1969 Ein Kilo Speck<br />

in ein lebendes Blatt ein Negativ kopieren, das zunächst nicht<br />

sichtbar ist. Es kann dann in einer dünnen alkoholischen Jodlö-<br />

sung entwickelt werden, auch wenn das Blatt getrocknet ist.<br />

7305 <strong>Waldheim</strong> i. Sa., 29. Oktober<br />

Die Sache in Döbeln am Freitag 14 Uhr laß ich vorbeige-<br />

hen ohne hinzufahren. Es heißt in der Ankündigung: „Unter<br />

dem Motto<br />

,… hier in diesem Land,<br />

wo Freundlichkeit Gesetz ist‘<br />

wird Ihnen das Sprechkollektiv des FDJ-Kulturensembles<br />

,Klara Zetkin‘ Leipzig mit Gedichten und Geschichten <strong>aus</strong> uns-<br />

rer Republik eine Stunde der Unterhaltung und des Nachden-<br />

kens bescheren. Musikalisch umrahmt werden diese Vorträge<br />

von zwei Künstlern des Leipziger Rundfunks mit Werken unsres<br />

fortschrittlichen Musikschaffens.“<br />

Interessant: „wo Freundlichkeit Gesetz ist“! Ich brauche nur<br />

an den unhöflichen Busfahrer meiner Rückfahrt von Leipzig am<br />

Freitag abend zu denken. „Gesetz“ ist und war eine Zwangs-<br />

maßnahme, „Freundlichkeit“ die freiwillige Erscheinung eines<br />

Wesenszuges. Das soll also identisch sein, so eine Art „freiwil-<br />

liger Zwang“ oder „befohlene Freiwilligkeit“. Dafür noch Zeit,<br />

Fahrgeld, Gasth<strong>aus</strong>kosten <strong>aus</strong>zugeben, das sollte mich dauern.<br />

30. Oktober<br />

Wie anstrengend das „Sitzung <strong>aus</strong>halten“ wird, erfuhr ich<br />

gestern abend, als ich mich bereden ließ, der Einladung des<br />

Kulturbundes zu folgen, um mir eine Nadel an die Jacke ste-<br />

cken zu lassen: „Ehrenabzeichen des Deutschen Kulturbun-<br />

des“, nebst „Urkunde“. Dazu wurde ein Teller Abendbrot und<br />

ein Glas Wein serviert, das ich nur dadurch verzehren konnte,<br />

daß ich mich an die im letzten Vierteljahrhundert gezahlten<br />

Beiträge erinnerte, mit denen dieses „Gastmahl“ dutzendemal<br />

bezahlt ist. Dann wurden Lichtbilder von Reisen von Rügen<br />

bis zum Schwarzen Meer gezeigt, von denen ich kaum etwas<br />

sah, weil das Licht zu schwach und das Format zu klein war.<br />

Auch was dazu erzählt wurde, hätte getrost wegbleiben kön-<br />

nen. Mir ist dabei wieder deutlich geworden, welchen Qualen<br />

die Kinder <strong>aus</strong>gesetzt sind, die Tag für Tag fünf Stunden lang<br />

oder noch länger den „Sitzungen“ <strong>aus</strong>geliefert sind. Die oft be-<br />

klagte Disziplinlosigkeit ist doch nur der Abwehrkampf der ge-<br />

quälten Kreatur.<br />

13. November<br />

Gestern beim Fleischer erregte mein Wunsch nach einem<br />

Kilo Speck im Laden Gelächter, und ich wurde belehrt, daß die-<br />

ser als Mangelware höchstens 100 g-weise an Leute abgegeben<br />

werde, die Fleisch zum Braten kaufen, was ich ja nicht tue. Ich<br />

wurde von der Fleischersfrau gefragt: „Wozu brauchen Sie denn<br />

den Speck?“ – „Zum Verschenken!“ sagte ich. Heute soll ich<br />

nun etwas Schinkenspeck erhalten, wollen mal sehen, ob das<br />

stimmt. Den kriegst Du dann. Zwiebeln gibt es nicht; jedoch ist<br />

<strong>aus</strong> Berlin eine Untersuchungskommission nach Döbeln gekom-<br />

men, die nach der Ursache des Zwiebelmangels geforscht hat.<br />

„Forschen“, „wissenschaftlich arbeiten“, das ist ja das Schlag-<br />

wort der Zeit; da lernt man „Wissenschaft“ verachten.<br />

13. November<br />

Gleich will ich Dir die überraschende Nachricht geben: Als<br />

ich heute am Ladentisch des Fleischers stand, mir das für heute<br />

angekündigte Stückchen Schinkenspeck zu holen, ging die Frau<br />

<strong>aus</strong> dem Laden und legte, <strong>aus</strong> dem Hinterzimmer kommend,<br />

ein eingewickeltes Etwas vor mich. Zu H<strong>aus</strong>e <strong>aus</strong>gepackt: etwa<br />

zwei Pfund Speck!! […]<br />

Die Rückseite ist freilich, daß nun in etwa zwanzig ande-<br />

ren Töpfen die Rouladen ohne Speck gebraten werden müssen.<br />

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