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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1969 Riesenorganismus „Goethe“<br />

hörde gesungen werde, wurde die Steuer erlassen. Der Kinob-<br />

esitzer war wesentlich klüger als die Steuerbehörde. Er begriff,<br />

welchen Propagandawert mein Bemühen für sein Kino haben<br />

würde. Durch die gestrige Radiosendung wurden die Erinne-<br />

rungen an jene Zeit wieder recht lebendig. Es ist immer wie-<br />

der merkwürdig zu erleben, was alles in dem kleinen Raum des<br />

Schädels aufgehoben wird, über Jahrzehnte hinweg.<br />

13. Juni<br />

Das Citat „geeinte Zwienatur“ 15 zu ermitteln, dazu gehört<br />

nicht viel Findigkeit. Symbolhaft dafür ist das Ginkgo-Blatt, die-<br />

ses von Japan <strong>aus</strong> in die botanischen Gärten übernommenen<br />

Baumes. Wesentlich ist dabei die Ablehnung des materialisti-<br />

schen Denkens, womit die Meinungen des Girnus wie Kreide-<br />

schrift vom Schwamme <strong>aus</strong>gelöscht werden. „Wissenschaft“ ist<br />

diesem „Professor“ fremd. Wer die Tatsachen erst verfälscht,<br />

um sie seinen vorgefaßten Wünschen anzupassen, kann nicht<br />

als „Gelehrter“ ernst genommen werden. Das hätte man ihm<br />

sagen müssen. Darin kommt doch eine würdelose Primitivi-<br />

tät zum Vorschein, die beweist, daß urzeitliche Deutungsversu-<br />

che trotz alles „Fortschrittes“ immer wieder neu geboren wer-<br />

den und in jeder Generation weiter leben. Der Glaube, daß die-<br />

ser Zustand einmal aufhören könne ist zwar notwendig, aber<br />

eben ein frommer Wunsch, den die Geschichte nicht erfüllt. Es<br />

sind immer nur einzelne, die sich dagegen behaupten und dar-<br />

auf verzichten, auf den bequemen Polstern eines „Glaubens“<br />

<strong>aus</strong>zuruhen. Das immer komplizierter werdende „technische<br />

Mobiliar“, mit dem man sich umgibt, beweist keineswegs ei-<br />

nen Fortschritt in der geistigen Welt, in der sich zu behaupten<br />

eine bedeutende Anstrengung verlangt. Der geistige Riesenor-<br />

15 S. den Brief vom 11. Juni 1969. Vgl. auch das Gedicht Gingo biloba in Goethes West-<br />

östlichem Divan.<br />

ganismus „Goethe“ hat sich in seinem langen, mit ungeheurem<br />

Fleiße entwickelten Leben so bereichert, daß es für Diebe aller<br />

Art ein Leichtes ist, sich <strong>aus</strong> dieser Schatzkammer das anzueig-<br />

nen, was ihnen in ihren Kram paßt. Darüber Aufsätze, Bücher,<br />

Hörspiele, Filme zu verfassen, die höchst verschieden einan-<br />

der widersprechen, dürfte keine große Anstrengung erfordern –<br />

aber welchen Sinn könnte es haben, seine Zeit an solche Auf-<br />

gaben zu verschwenden? Taumelt weiter wie gepeitschte Krei-<br />

sel auf flachen Platten, höhere Einsichten bleiben einer kleinen<br />

Aristokratie vorbehalten. Wie gewisse Farnkräuter des heutigen<br />

Waldes in Versteinerungen uralter Vergangenheit bereits ab-<br />

gedruckt sind, so erhalten sich primitive geistige Konstruktio-<br />

nen durch alle Zeiten. Sprachen, Vokabular, Ausdrucksweisen<br />

mögen wechseln – die Substanz des Irrtums, des Fehldenkens<br />

bleibt erhalten und wird täglich neu geboren. Auch „Denkma-<br />

schinen“ werden daran nichts ändern, da diese gar nicht „den-<br />

ken“, sondern an ihren Schaltknöpfen die Bedienung durch<br />

Menschen nötig haben.<br />

Ein Blick auf die farbige Blumenwelt in den Gärten auf dem<br />

Wege zur Goldenen Höhe muß einen angesichts dieses geisti-<br />

gen Zustandes entschädigen und davor bewahren, zum ewig<br />

unzufriedenen Griesgram zu werden.<br />

258 259<br />

14. Juni<br />

Ordnungswidrig blüht ein kleiner Löwenzahn an der Bord-<br />

kante und richtet sein rundes Blütengesicht so in den Raum,<br />

daß die Sonnenstrahlen rechtwinklig auftreffen. Welche Vor-<br />

gänge spielen sich da ab, daß die wachsenden Zellen des<br />

Stengels von der Strahlungsenergie des Lichtes genau gerich-<br />

tet werden. […]<br />

Das Blühen der Gärten wurde täglich schöner und richtete<br />

sich nach dem der Pflanze innewohnenden Kalender; so blü-<br />

hen rote Mohne und bunte Lupinen, Erigeron, Saxifragen, Jas-

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