Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1966 Gartensinfonie<br />
in unvergänglicher Schönheit. Das Dogma der „unbefleckten<br />
Empfängnis“ wird einleuchtend <strong>aus</strong> dem Bestreben, die Blüte<br />
der Schönheit auch nach der Frucht zu erhalten. Betrachte ein<br />
von der Sonne beschienenes Blütenblatt einer roten Amaryl-<br />
lis durch eine gute Lupe: Du siehst da Gold und Diamanten für<br />
wenige Tage in feinstem Staube glänzen. Da wird der Wunsch<br />
lebendig, das Geheimnis dieser Schönheit über die Frucht hin-<br />
<strong>aus</strong> – deren Ziel die Blüte doch scheinbar ist – zu erhalten. In<br />
diesem Urgefühle wurzelt dieses Dogma, <strong>aus</strong> ihm entstanden<br />
die Madonnenbilder. Das alles hat mit dem „Verstande“ das al-<br />
lermindeste zu tun.<br />
Warum mir Karsten das Büchlein schickte? Weil ich ihn vor<br />
Jahren, als ich ihn das letzte Mal sah – es ist lange her – nach<br />
dieser Modephilosophie fragte, er mir damals keine Auskunft<br />
geben konnte und jetzt diesem Buche begegnend sich meiner<br />
Frage erinnerte. Er selbst gibt zu verstehen, daß er mit die-<br />
sen Sätzen nichts anzufangen weiß und meint, vielleicht gibt<br />
es diesen „Existentialismus“ überhaupt nicht. Ich finde das<br />
herrlich, die Nicht-Existenz einer Sache festzustellen, die ge-<br />
rade ihre „Existenz“ verkündet. Bemerkenswert bleibt der Zu-<br />
sammenhang dieser „Lehre“ mit Hegel, den einige politische<br />
Systeme als geistigen Vater betrachten. Mir wird das Büchlein<br />
wichtig, nicht der „Lehren“ wegen, die es verkündet, sondern<br />
wegen der Denkanstöße, die von ihm <strong>aus</strong>gehen. Und ich bin<br />
sehr froh darüber, ein Dokument dieser Gedankenspiele in der<br />
Hand zu haben.<br />
17. Mai<br />
Da ich in diesen Wochen einiges anstreichen will, besorgte<br />
ich gestern Farbe, die <strong>aus</strong>nahmsweise da war. Pinsel – gibt es<br />
nicht. Nur gut, daß ich da noch zwei alte habe und zur Not auch<br />
einen nicht weggeworfenen alten Rasierpinsel zum Instrument<br />
der Kunst adeln kann. Heb ja Deine alten Pinsel gut auf, es<br />
empfiehlt sich, diese in heißes Imi-Wasser zu bringen und gut<br />
<strong>aus</strong>zuwaschen. Sind sie bereits hart geworden, so laß sie ein<br />
paar Tage in Imi-Wasser sich erweichen und wasche sie zuletzt<br />
mit klarem Wasser <strong>aus</strong>. Dann kannst Du sie in einer Cellophan-<br />
tüte für spätere Verwendung aufheben. Es wird mit der allmäh-<br />
lichen Verknappung vieler Dinge immer toller.<br />
186 187<br />
18. Mai<br />
Die Tochter von Dr. Kröpp – die mit dem Landgerichtsdirek-<br />
tor verheiratet ist – will sich ein H<strong>aus</strong> bauen, im Glauben, daß<br />
sei billiger als mehr und mehr steigende Mieten zu zahlen. Nun<br />
soll ich ihr für den anzulegenden Garten einiges sagen. Garten<br />
kann eine Sinfonie sein, in der mancherlei Instrumente sich nach<br />
ihnen gemäßen Gesetzen zu einem schönen Ganzen zusammen-<br />
ordnen. Den Generalbaß muß man freilich kennen. Farben – For-<br />
men – Größen der Gestalten – Blütezeiten – Sonnen- oder Schat-<br />
tenliebe – Wasserbedürfnis oder Wunsch nach Trockenheit sind<br />
die Grundfaktoren, die man kennen möchte, um jeder Pflanze<br />
die Daseinsbedingungen zu geben, die sie allen andern vor-<br />
zieht. Da kann sich einer sehr <strong>aus</strong>führlich damit beschäftigen.<br />
20. Mai<br />
Leipzig bereitet für den Herbst eine Vorstellung von „F<strong>aus</strong>t“<br />
2. Teil vor. Dazu sollen die hiesigen Oberschüler von ihren be-<br />
rühmten Deutsch-Lehrern hingeführt werden, wie ich von Gott-<br />
fried Schlesier erfuhr. Da werden also diese Knaben mit einem<br />
Schlage verstehen, wozu Goethe sechzig Jahre Arbeit, Studium,<br />
Leben aufgebracht hat. Die Interpretation kann ich mir vorstel-<br />
len: F<strong>aus</strong>t (Goethe) endet als Wasserbauingenieur eines sozia-<br />
listischen Staates („Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschlie-<br />
ßen“ 18 ). Der Individualismus – vertreten durch Philemon und<br />
18 F<strong>aus</strong>t II. Fünfter Akt. Großer Vorhof des Palasts.