Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1969<br />
10. Juni<br />
Meine Spitzwegmappe wird heute fertig; diese Arbeit war<br />
eine gesunde Kur. Man muß ab und zu etwas mit der Hand<br />
machen; „mundieren“ nannte das Goethe, wenn er versuchte,<br />
einem Manuskript durch Einheften in eine Mappe mit eigner<br />
Hand eine äußere Gestalt zu geben. Das Wort mag „verschö-<br />
nern“ bedeuten, von mundus = Kosmos = das Schöne.<br />
11. Juni<br />
Zählst Du vom Ende des zweiten Teils vom „F<strong>aus</strong>t“ etwa<br />
160 Zeilen zurück, kommst Du auf die Stelle der „vollendete-<br />
ren Engel“, die F<strong>aus</strong>tens „Unsterbliches“ aufwärts zum Him-<br />
mel tragen:<br />
„Uns bleibt ein Erdenrest<br />
Zu tragen peinlich,<br />
Und wär’ er von Asbest, (d.h. unverbrennlich)<br />
Er ist nicht reinlich.<br />
Wenn starke Geisteskraft Absage an den französischen<br />
Die Elemente Materialismus, den geistigen<br />
An sich herangerafft, Vater der französischen<br />
Kein Engel trennte Revolution<br />
Geeinte Zwienatur (auch das gegen Girnus!)<br />
Der innigen beiden,<br />
Die ewige Liebe nur<br />
Vermag’s zu scheiden.“ 14<br />
So, da hast Du erst mal den Zusammenhang und auch den<br />
geistesgeschichtlichen Ort (gegen den Materialismus), <strong>aus</strong> dem<br />
der Gedanke stammt.<br />
Vergleiche Prof. Wachsmuth und Girnus als lebende Reprä-<br />
sentanten entgegengesetzter Auffassungen von Goethes Ge-<br />
dankenwelt, dann siehst Du den Girnus mit Donnergepolter<br />
14 F<strong>aus</strong>t II. Bergschluchten.<br />
„ärschlings“ zur Hölle fahren, und es bleibt von ihm ein vom<br />
Wind verwehter Fetzen verbrannten Zeitungspapiers.<br />
Welch erfrischender Wind wäre durch den Saal gestrichen,<br />
hätte ich das in Weimar gesagt. Jedenfalls kann ich in diesem<br />
„Professor“ keinen Gelehrten, sondern nur einen Propaganda-<br />
redner sehen. […]<br />
Auf den Bildern von Spitzweg, die mit großer Genauigkeit<br />
oft Einzelheiten darstellen – man kann auf manchem die Ge-<br />
wächse im Vordergrunde bestimmen – ist immer wieder zu be-<br />
wundern, wie oft mit einem ganz winzigen Stück blauen Him-<br />
mels der Blick in das Unendliche gezogen wird.<br />
256 257<br />
12. Juni<br />
Grock-Film<br />
Bis Mitternacht hörte ich eine vorzügliche Sendung zur<br />
Erinnerung an Grock, den größten Clown, der alle Regierun-<br />
gen überlebte und von der Kaiserzeit an bis etwa 1954 Millio-<br />
nen Menschen das gab, was die Politik ihnen nahm: ein unbe-<br />
schwertes, herzliches Lachen, ein Lachen über Witze, die zuwei-<br />
len in einem einzigen Worte bestanden, einem Worte, das nicht<br />
erwartet war. Zudem gab er das Vorbild eines Menschen, der<br />
un<strong>aus</strong>gesetzt bemüht war, seine Fähigkeiten und seine Leistun-<br />
gen täglich zu entwickeln und zu steigern. Als ich 1932 – als al-<br />
les politisch kochte – eine mir anvertraute Gruppe von 67 Er-<br />
werbslosen im Alter von 17–33 Jahren in den damals laufen-<br />
den Film von Grock führen wollte, gab es Schwierigkeiten. Der<br />
Kinobesitzer wollte mir zwar die gewünschten Freikarten ge-<br />
ben, aber die Steuer, die auf jeder Karte lag, solle ich ihm nicht<br />
zumuten. Die Steuerbehörde lehnte ab, mir sie zu erlassen und<br />
fand es unerhört, daß ich mit den Arbeitslosen ins Kino laufen<br />
wolle, obwohl das ein Bildungsfilm ersten Ranges war, wenn er<br />
gut durchdacht wurde. Erst als ich erklärte, daß ich die Steuer<br />
selbst bezahlen werde, den Betrag jedoch durch einen Artikel<br />
zurückgewinnen würde, in dem nicht gerade das Lob der Be-