Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1966 Banner der Arbeit<br />
sing – Karl Marx als die größten Meister der deutschen Spra-<br />
che gepriesen: „Goethe wurde überhaupt nicht erwähnt.“ Haa-<br />
ses Aufregung gab mir Spaß! Man muß sich wundern, daß Gir-<br />
nus auch Lichtenberg, Schopenhauer und Nietzsche vergessen<br />
hat. Daß der Mann sehr verblendet ist, wohl auch geschlagen<br />
durch seine Erlebnisse, das wurde doch schon in dem „Tasso“-<br />
Vortrage klar. Daß er Marx in diese Reihe rückt, ist verständlich<br />
und – wie schon an der Sprache des „Manifestes“ zu merken –<br />
sachlich berechtigt, aber er durfte die andern nicht vergessen.<br />
Da verfällt er in den Fehler seiner politischen Gegner, die ihrer-<br />
seits den Marx vergaßen. Es ist schon ein Affenspiel, dieser auf-<br />
geregte Literaturbetrieb.<br />
Auf einer Drucksache <strong>aus</strong> dem Westen sehe ich eine West-<br />
briefmarke mit einem Bildchen eines Zwingerpavillons und der<br />
Unterschrift: Dresden/Sachsen! Das ist doch erstaunlich! Wenn<br />
man nun hier mal den Kölner Dom auf einer Briefmarke abbil-<br />
dete! Das sind „Wege zur Einheit Deutschlands“ mit billigen<br />
Mitteln! Übrigens ist das das doppelte Porto (10 Pf.!), was die<br />
gleiche Sache von hier <strong>aus</strong> nach dem Westen kostet, das sind<br />
bis 50 g nur 5 Pf.!<br />
2. April<br />
Girnus hat einen Orden gekriegt: „Banner der Arbeit“ (ob<br />
man da die Arbeit verbannen muß?) als Chef-Redakteur der Zeit-<br />
schrift „Sinn und Form“ (welche ich nicht lese!) Oder sollte man<br />
sie lesen? Nein – meine Zeit ist dazu zu kostbar, jeder Tag wird<br />
wertvoller. „Banner der Arbeit!“ So erhielt Casanova den nied-<br />
rigsten Orden des Papstes, er wurde damit „Ritter vom Goldnen<br />
Sporn“. Durch einige darum gesetzte Edelsteine ließ Casanova<br />
Funktionär in der DDR war er u.a. seit 1952 im Vorstand der Goethe-Gesellschaft,<br />
von 1957–1962 Staatssekretär für Hoch- und Fachschulwesen, von 1962–1971<br />
Professor für Allgemeine Literaturwissenschaft in Berlin und von 1964–1981 Chef-<br />
redakteur der Zeitschrift Sinn und Form.<br />
das Ding als etwas Besseres erscheinen. Auch „Teufelsbanner“<br />
gab es – aber „Banner der Arbeit“? Ein komischer Beruf.<br />
182 183<br />
9. April<br />
Gestern mittag stand ein pompöses Auto vor meiner Tür:<br />
Maler Busch und Auto-Walther, der mich wegen einiger Stein-<br />
blöcke, die er geholt hatte für seinen Steingarten, um Rat fra-<br />
gen wollte und staunte als ich ihm zunächst sagte: „Diese Stü-<br />
cke sind <strong>aus</strong> dem sogenannten ‚Zwischengebirge‘ von Fran-<br />
kenberg-Hainichen <strong>aus</strong> dem Grenzgebiete des Granulits. Es<br />
ist silifiziertes Holz der Braunkohlenzeit.“ Na – und – er hat<br />
mich eingeladen, seinen Garten zu besuchen, „für guten Kaffee<br />
werde er sorgen“! Na – und.<br />
14. April<br />
Im Mai hat Rost’s Buchhandlung das Jubiläum des 125jäh-<br />
rigen Bestehens. Sie baten mich um einen geeigneten Schau-<br />
fensterspruch, hielten aber den von Lichtenberg, den ich gleich<br />
angab („Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es<br />
klingt hohl, ist das allemal im Buch?“) für nicht recht geeignet.<br />
Ich schreib ihnen ein paar andere auf. Es dürfte sich da ver-<br />
schiedenes finden.<br />
28. April<br />
Gestern war hier die Luft verrückt: von früh an bis nach Mit-<br />
ternacht knatterten in jeder Viertelstunde zwei Knallflugzeuge<br />
mit je zwei Detonationen durch, daß die Fenster klirrten. Diese<br />
Welt ist die beste aller möglichen, sagte Leibniz; freilich hatte<br />
er sehr unzureichende Kenntnisse von diesen Wirklichkeiten.<br />
Oder er war sehr anspruchslos.<br />
Auf dem „Werder“, den ich mir gestern mal mit Wolf (früher<br />
Rath<strong>aus</strong>) besah, ist ein „Ehrenmal“ für Opfer des Faschismus im<br />
Bau, das ich zunächst für einen Kugelfang einer Schießanlage