Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

1973 Dritter Weltkrieg vor der Tür
sen – angefochtene Haltung von Romain Rolland genau berich-
tet; jede Angabe wird quellenmäßig belegt. Eine deutsche Aus-
gabe wäre sehr nötig, aber es besteht keine Aussicht, daß sie
gedruckt werde, ich würde das sofort übersetzen.
30. Mai
Der Germanist, der auf der letzten Tagung der Goethe-Ge-
sellschaft sprach und der ein Franzose war – Grappin hieß er
wohl – hat auch zu dem Thema „Romain Rolland und Deutsch-
land im ersten Weltkriege“ ein Buch 8 geschrieben, allerdings
nicht von dem Umfange des Parisers Cheval („Romain Rolland,
l’Allemagne et la Guerre“), etwa 780 Seiten. Man sollte auch
mal eine Arbeit der Gegner Rollands lesen, deren es in Frank-
reich sehr viele gab, die ihm seine Stellung über den Nationen
nicht verzeihen konnten, vor allem seinen Aufruf „Au-dessus de
la mêlée“ (Über dem Getümmel), der als „Überheblichkeit“ von
vielen Franzosen abgelehnt wurde. Jedenfalls hat man ihm das
Leben sehr sauer gemacht.
4. August
Ich traf am Briefkasten Dr. Büttner und bestellte mir bei ihm
noch drei Exemplare seiner Arbeit, die nur mit großer Mühe
zum Drucke gelangt ist; es ist die Übersicht über die Waldhei-
mer Ärzte. Er hat außer der vielen Arbeit noch die Hälfte der
Druckkosten bezahlt: 400 Exemplare kosteten 4000 M, also
das Stück, für 5 Mark verkauft, kostet ihn 10 Mark. Dabei ist
freilich kein „Geschäft“ zu machen. Nur ein sehr großer Verlag
kann sich solche Kalkulationen leisten, wenn ihm das, was er
an einer Veröffentlichung verliert, durch den Überschuß beim
Verkaufe einer anderen Sache wieder eingebracht wird. Wenn
8 Vermutlich Pierre Grappin, Le Bund Neues Vaterland (1914–1916). Ses rapports avec
Romain Rolland, Lyon und Paris 1952.
das nicht gelingt, steht er eines Tages vor dem Nichts. Brock-
haus gab das Hauptwerk Schopenhauers, „Die Welt als Wille
und Vorstellung“, das 1819 erschien, zum größten Teil in die
Papiermühle, um wenigstens ein weniges zu retten. Daher sind
die wenigen damals verkauften Exemplare der ersten Auflage
dieses später so berühmten Werkes heute im Antiquariat sehr
teuer – wie seltene alte Briefmarken.
16. Oktober
Eine Minute Krieg kostet etwa eine Million – wer diese in
Empfang nimmt, hat natürlich ein Interesse am Fortgang dieses
„Geschäftes“. Denn was der eine ausgibt, wird von einem an-
dern „eingenommen“. Das spielt sich ohne Gemütsbeteiligung
ab. Andere Gemüter werden mit „Nachrichten“ gefüttert.
29. Oktober
Daß am letzten Donnerstag der dritte Weltkrieg genau
vor der Tür stand, scheinen noch nicht alle gemerkt zu ha-
ben. Allein in West-Europa (Westdeutschland, Frankreich) stan-
den 400 000 wohlgerüstete Amerikaner mit Marschgepäck und
Ausgangssperre bereit, auch an den Tasten zur Auslösung der
Atombomben lagen die Finger bereit. „Konfrontation der Su-
permächte“ sagt man statt „Krieg“, der angeblich den Frieden
schaffen soll. Zudem sind die Amerikaner gegen Europa u. bes.
Westdeutschld. vergrollt, weil Brandt ihnen nicht erlaubte, von
Bremerhaven aus am. Kriegsmaterial an Israel zu verschiffen.
9. November
Heute ist der 9. November: an diesem Tage brach 1918 das
Deutsche Reich zusammen, am Tage zuvor flüchtete der Kaiser
nach Holland; in Kiel leitete ein Matrosenaufstand eine Art Re-
volution ein. Es sind alle Einzelheiten noch zu erinnern. Ich war
am 8. in Leipzig und sah dort nachmittags ½ 4 h den Beginn
346 347