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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1971<br />

Jugend an mit ganz bestimmten Antrieben <strong>aus</strong>gestattet, die ihn<br />

nie verlassen und seine Entwicklung sein Leben lang bestim-<br />

men. Trotz aller Rückschläge. Denn noch heute bedrängen mich<br />

Fragen, die ohne Antwort bleiben oder mehrere verschiedene,<br />

ja entgegengesetzte Auskünfte zulassen.<br />

16. Juli<br />

Photographien auf Gräbern fand ich schon vor 80 Jahren auf<br />

einem Friedhofe im Riesengebirge. Auch in Feldkirch in Vorarl-<br />

berg sah ich solche Bilder. Ich erinnere mich auch, daß mein Va-<br />

ter – für Leute <strong>aus</strong> dem Riesengebirge – solche Photographien<br />

auf Porzellanplatten malte, die dann auf Grabsteinen ange-<br />

bracht wurden. Kleine Portraits wurden auch als Broschen auf<br />

Porzellanplatten gemalt, vor allem von gestorbenen Kindern.<br />

21. Juli<br />

Bei Ratzel („Über Naturschilderung“ S. 299) stehen fol-<br />

gende schöne Gedanken: „Die Naturschilderung kann nicht<br />

ohne innere Wärme arbeiten. Ich möchte sagen: Wenn der Ge-<br />

ograph schildert, müsse sich sein Herz verdoppeln; denn er<br />

braucht ein Herz für die Welt, die er sieht, und ein Herz für die<br />

Sprache, in der er nun denkt und dichtet. Das ist so, wie der<br />

Goldschmied sich an den Edelsteinen freut, die er faßt, der<br />

Kunsttischler an den Masern des Holzes“ (wie z.B. der Drechs-<br />

ler Auerbach in Seiffen, bei dem wir die schönen Sachen sa-<br />

hen), „das er verarbeitet, und beide zugleich an dem Werke,<br />

das sie mit diesen schönen Stoffen bilden. Man fühlt es jeder<br />

Schilderung an, ob eine Freude am Werk darin ist oder nicht;<br />

denn nur von ihr kann die Wärme kommen, die der Schilde-<br />

rung Leben gibt, und es erwächst dar<strong>aus</strong> das Verständnis für<br />

die Sprache und für das, was damit zu machen ist.“<br />

Als Ratzel 1904 plötzlich starb, wurde der Breslauer Prof.<br />

Partsch sein Nachfolger in Leipzig. Er trat sein Amt als Ordina-<br />

rius an mit der Bemerkung: „Von jetzt an wird in Leipzig wie-<br />

der exakte Geographie betrieben.“ Das sah praktisch so <strong>aus</strong>:<br />

Als ein Prüfungskandidat unsicher war in der Beantwortung<br />

der Frage, ob Aschaffenburg rechts oder links vom Main liege,<br />

ließ er ihn gleich durchfallen. Es schien ihm zu gefallen, von<br />

den Kandidaten gefürchtet zu sein. Solche Kathedermonarchen<br />

gab es also auch in früheren Zeiten. Dabei war er ein sehr ge-<br />

lehrtes H<strong>aus</strong>, dessen zweibändiges Werk über Schlesien noch<br />

heute sehr gesucht ist. Aber der Apostel sagte bereits: „Es un-<br />

terwinde sich nicht jedermann, Lehrer zu sein!“ [Jakobus 3,1]<br />

310 311<br />

28. Juli<br />

Unter den noch täglich erscheinenden Grünfinken ist einer,<br />

der eine Art Mütze <strong>aus</strong> senkrechten kleinen Federchen trägt. Er<br />

fühlt sich dadurch scheinbar als eine Art König und verjagt ge-<br />

legentlich andere. Der Ursachenzusammenhang ist wie immer<br />

unklar: macht ihn die Krone anmaßend? Oder ist sie der äu-<br />

ßere Ausdruck seiner herrischen Natur? Friedliche Leute sind<br />

die Kleiber, von denen einige Junge jetzt früh an das Fenster<br />

kommen, sich neugierig umschauen und den Betrachter durch<br />

die sehr harmonische Farbenwahl ihres Anzuges erfreuen, des-<br />

sen Aussehen sich seit den Tagen, da sie am Ende der Eiszeit<br />

<strong>aus</strong> Noahs Arche davonflogen, kaum geändert hat. Da blieb der<br />

so beliebte „Fortschritt“ <strong>aus</strong> – wie in der Kunst. Es war sehr er-<br />

freulich, in einer Sendung zu hören, daß es in der Kunst keine<br />

Entwicklung gebe. Das ist meine alte Auffassung, und man ist<br />

wohl immer erbaut, seine eigene Meinung von andern bestä-<br />

tigt zu hören.<br />

18. August<br />

Der Lehrer Friedrich Ratzel<br />

Hier gab es keine normalen Briefumschläge, nur so blö-<br />

des Format, daß man den Brief eine zusätzliche Falte brechen<br />

mußte. Als ich den Dresdenern an diesem Beispiele etwas Lack

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