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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1968 Gruft mit Lesesaal<br />

stand, auf dem das Elend der Welt beruht – weil es nicht immer<br />

die Besten sind, die sich hemmungslos entschließen.<br />

1. April<br />

Bitte, keinerlei Schmeichelei, ich weiß besser als der Jurist<br />

Hermann, wie heruntergekommen ich bin. Die Lampe selbst<br />

merkt nichts davon, daß sie allmählich düsterer brennt, das se-<br />

hen nur die andern. Der Abnahme der körperlichen Ausdauer<br />

geht der Schwund der geistigen Energie nicht parallel, sondern<br />

vor<strong>aus</strong>, da das zuletzt Entwickelte zuerst verfällt. Die andern<br />

sehen nur das Äußere der Ruine – ich gehe oder schleiche in<br />

ihren immer leerer werdenden Hallen umher. […]<br />

Auf dem Markte begrüßte mich am Sonntag einer, der tief<br />

den Hut abzog und sagte: „Du warst mein alter Lehrer, bei dem<br />

ich sehr viel gelernt habe.“ Es stellte sich her<strong>aus</strong>, daß er etwa<br />

1910/11 im 6. Schuljahr bei mir gewesen, also vor 58 Jahren. So<br />

laufen einzelne Exemplare meiner gesammelten Werke durch<br />

die Gegend.<br />

10. April<br />

Gestern tafelte das Eichhörnchen 40 Minuten am Fenster,<br />

lehnte sich dann mit den Vorderpfötchen auf das Blumenbrett,<br />

die Vorüberkommenden wie ein Rentier betrachtend und ließ<br />

sich von der Sonne den Pelz wärmen, räkelte sich vor Wohlbe-<br />

hagen und gab das Bild eines Wesens, das den Augenblick ge-<br />

nießt und weder an gestern, noch an morgen denkt. Sollte der<br />

indische Gedanke der Seelenwanderung richtig sein, wäre das<br />

gar keine üble Daseinsweise.<br />

11. April<br />

Es ist weder gut, noch richtig, noch genau möglich, den<br />

Verlauf der letzten Tage zurückzurufen. Daß Großmutti die al-<br />

lermeiste Zeit in einem Schlafe lag, ist ganz klar. Die Kraft des<br />

Widerstandes war bereits erschöpft, zu staunen, daß das Ende 8<br />

nicht bereits früher erfolgte. Außerdem ist die Zeitangabe in<br />

Deinem <strong>Briefe</strong> sehr überdehnt. Daß sich am Dienstag niemand<br />

um sie gekümmert habe, ist nicht denkbar. „Helfen“ konnte<br />

hier niemand – auch Du nicht. Tröste Dich damit, zu wissen,<br />

daß sie diese Übel, die sie monatelang gequält haben, los ist.<br />

Das ist wohl der Untergrund des Wortes „Erlösung“ – eine Pein<br />

„los“ werden. Wie oft hat sie anderen, die sich die letzten Le-<br />

benstage in einem Krankenh<strong>aus</strong>e plagten, gewünscht: „Wenn<br />

er nur endlich erlöst würde!“ Behalten wir das Bildnis dieser<br />

guten und klugen Frau so in der Erinnerung, wie es jeder ha-<br />

ben muß, der sie gekannt hat. Wie der Wagen von der Halle ab<br />

in ein sonniges Frühlingsbild langsam hineinrollte, mag sie [in]<br />

einem Frühling der Erinnerung uns gegenwärtig sein.<br />

220 221<br />

19. April<br />

Gestern besuchte mich dieser Herr ***, der vor 17 Jahren<br />

hier von der Schule als Neulehrer flüchtete. Er lebt in Lands-<br />

hut, etwa 40 km von München als Beamter am Fernmeldeamt,<br />

wofür er zwei Jahre Ausbildung erhalten hat und fühlt sich da-<br />

bei wohl aufgehoben. Er hängte mir dann eine Photo-Postkarte<br />

der Nürnberger Lorenzkirche ab, die er hier gern einem Freunde<br />

schenken wolle, der solche Sachen sammle. Nun ja. Auch die<br />

von mir mehrfach gehörte Frage, was nach meinem Tode <strong>aus</strong><br />

meinen Büchern werde, mußte er stellen. Ich werde mir nun da-<br />

für eine Antwort stilisieren, vielleicht, daß ich eine Gruft mit gut<br />

beleuchtetem Lesesaal bauen lasse, in der ich dann p<strong>aus</strong>enlos<br />

diesem Laster fröne. Daß die Leute den Tod als meinen nächs-<br />

ten Begleiter bemerken, ist nicht zu verwundern; nur finde ich<br />

es etwas geschmackswidrig, das zu erwähnen.<br />

8 Tod von Johanna Sauer, der Mutter von Gertrud Schade.

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