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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1970 Tod eines Freundes<br />

stürzt“ – und nicht „hat sich ins W. g.“ – registrierte. Denn auch<br />

der Makel, einen Selbstmörder im Friedhofswinkel zu verschar-<br />

ren, mußte vermieden werden. So stark war der Druck einer<br />

stinkigen Massenmeinung.<br />

7. März<br />

Aus den Höfen schaufeln alle Leute den Schnee auf die<br />

Straße, weil sie die Bewässerung ihrer Keller fürchten. Dabei<br />

zeigt sich der primitive Trieb zu plastischer Formgebung: man<br />

glättet die Berge seitlich mit Schippen und Schaufeln.<br />

10. März<br />

Gestern genoß ich noch das Mißgeschick, an der Kirche ge-<br />

nau vor dem dortigen Fleischerladen „der Länge nach“ hinzu-<br />

stürzen, weil dort nie gestreut wird (schon 1912 nicht, wo ich<br />

durch einen Sturz an derselben Stelle für ein Jahr außer Dienst<br />

geriet!) Glücklicherweise brach kein Knochen, und es blieben<br />

außer etwas beschädigter Haut an der Hand nur die Prellge-<br />

fühle im Rücken und etwas Schädelbrummen; denn das Denk-<br />

gehäuse war ziemlich hart auf hart getroffen. Nun sitz ich hier<br />

bekümmert und verdrossen, ohne daß sich durch solche Ge-<br />

mütsbewegungen etwas an der Sache ändern ließe.<br />

11. März<br />

Gestern erhielt ich durch die Fernleihe das Buch des Nobel-<br />

preisempfängers Samuel Beckett, Auswahl in einem Buch. Ich<br />

lese zuerst das vielgenannte Stück „Warten auf Godot“ – eine<br />

schwer zu verstehende Folge von Szenen. Der Verfasser ist Ire,<br />

lebt aber meist in Paris und schreibt vornehmlich französisch,<br />

manches auch englisch. Daß ich das Buch bekam, bedeutet<br />

eine besondere Vergünstigung; denn nach den Bibliotheksvor-<br />

schriften darf diese Literatur nur an Leute <strong>aus</strong>geliehen werden,<br />

die einen Forschungsauftrag einer Akademie vorlegen können.<br />

Was ich nicht gerade als eine „demokratische“ Vorschrift anse-<br />

hen kann. Ich werde das mehrmals lesen müssen, die Lektüre<br />

ist anstrengend. Das Buch – 388 Seiten – erschien bei Suhr-<br />

kamp in Frankfurt a. Main. Da liest man: „Wir finden doch im-<br />

mer was, um uns einzureden, daß wir existieren.“ – „Wir wer-<br />

den alle verrückt geboren. Einige bleiben es.“ 4<br />

Eben erhielt ich einen <strong>aus</strong>führlichen Brief vom Sohne von<br />

Dr. Schumann, Karsten Schumann in Gießen. Ich hatte sehr<br />

lange – trotz mehrerer <strong>Briefe</strong> und Bücher, die ich geschickt –<br />

nicht eine Antwort bekommen. Und nun erfahre ich, daß vor<br />

langer Zeit beide Schumanns in ein schreckliches Pflegeheim<br />

nach Ehrenfriedersdorf gebracht wurden, wo Frau Sch. kurz dar-<br />

auf gestorben ist, daß Dr. Sch. schließlich von Karsten nach<br />

Gießen geholt wurde, wo er am 12. Februar 1970 gestorben ist,<br />

nachdem sein Körper- und Geisteszustand immer hinfälliger ge-<br />

worden war. Das ist sehr schmerzlich. Zu sehen, wie kümmer-<br />

lich ein Leben eines Menschen zu Ende gehen kann, der in jahr-<br />

zehntelangem Bemühen so vielen anderen ein Ratgeber, Helfer,<br />

Wecker gewesen ist, Scharen begeisterter Schüler herangebil-<br />

det, erst als Leiter der Dürer-Schule in Dresden, dann an der<br />

Oberschule in Zschopau und im öffentlichen Leben.<br />

280 281<br />

16. März<br />

Gestern abend hörte ich mir eine Sendung an, die un-<br />

ter dem Titel „Von mir zu dir“ Grüße und Glückwünsche zwi-<br />

schen den beiden Teilen Deutschlands vermittelt. Das war in<br />

vieler Hinsicht sehr interessant. Da schickt man gewünschte<br />

Geburtstagsmusik; es war von älterer Musik alles dabei: Joh.<br />

Seb. Bach, Mozart, Händel, Beethoven („Mondscheinsonate“<br />

von Backh<strong>aus</strong> gespielt), [Johann] Strauß bis zu dem Erzgebirgs-<br />

sänger Anton Günther, aber kein einziger Takt von sogenann-<br />

4 Warten auf Godot. Zweiter Akt.

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