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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1971 Technisierung des Denkens<br />

besonders, nicht nur weil David damit bei Saul böse Geister<br />

bannte. Daß Wagner gelegentlich mal acht Harfen klingen läßt,<br />

ist für mich das Beste an ihm, dem Untergangstrompeter. Lei-<br />

der zieht heute keine Harfenjule mehr durchs Land. So etwas<br />

konnte man vor 70 bis 80 Jahren noch erleben. Es war ein Aus-<br />

klingen der Romantik. Das hörte auf: die Bettelmänner ver-<br />

schwanden, die Slovaken, die Tontöpfe in Draht einstrickten,<br />

die italienischen Gipsfiguri-Händler, die großen, dunkelbraunen<br />

Dalmatiner, die mit Schwämmen beladen waren, die Ratten-<br />

und Mäusefallenverkäufer, die H<strong>aus</strong>ierer mit Knöpfen, Zwirn<br />

und Nadeln. Das war unser Ersatz für den heutigen Kinobesuch<br />

und den Fernseher, der den Leuten Kleister ins Gehirn streicht.<br />

Unsre Bettelmusikanten kamen ohne Programm und Ansage,<br />

manchmal als Quartett von Blechbläsern oder als einzelne Fied-<br />

ler, Harmonikaspieler oder als Harfenjule. Und die „armen Rei-<br />

senden“, die nur ihren Bettelspruch sagten – aber die Scene<br />

belebten. Jetzt wird die „sociale Ordnung“ nicht mehr von sol-<br />

chen Randfiguren belebt, die unsre Phantasie belebten.<br />

13. Mai<br />

In einem Bericht über „Amerikanisches Erziehungswe-<br />

sen“ erklang der Satz: „Jeder Erwachsene kann unterrichten“<br />

– nach der Meinung eines „bedeutenden“ amerikanischen pä-<br />

dagogischen Autors. Das ist der Weg zur Aufhebung alles wis-<br />

senschaftlichen Nachdenkens über alles menschliche Handeln.<br />

Man übertrage das getrost etwa auf die Medizin und sage „Je-<br />

der kann heilen“. So wie ja auch jeder „reden“ kann – leider re-<br />

den viele Unsinn. Daß das bei einer kleinen Verletzung gesagte<br />

Sprüchlein: „Heile, heile Kätzchen ... Kätzchen hat en Schwanz<br />

– nu ists wieder ganz“ oder das Prügeln der Tischecke, an die<br />

sich das Kind gestoßen hat, eine schmerzstillende Wirkung<br />

hervorbringen kann wie eine vom Arzt verordnete Schmerztab-<br />

lette, ist nicht zu bezweifeln; das sind suggestive Methoden,<br />

die instinktiv etwas Richtiges tun, ohne von der Kompliziertheit<br />

des Vorganges etwas zu ahnen. Vielleicht bringt die wachsende<br />

Technisierung das Denken zum Absterben. Maschinen erzeugen<br />

neue Maschinen, die durch Drücken von Knöpfen von jedem<br />

in Gang gebracht werden können; die Knopfdrücker haben nur<br />

noch Sorgen, die wachsende Freizeit zu gestalten.<br />

Damit wäre der Gegenpol von Goetheschem Bildungsstre-<br />

ben erreicht. Er sah auch das:<br />

„Daß sich ein großes Werk vollende,<br />

genügt ein Kopf für t<strong>aus</strong>end Hände.“ 8<br />

306 307<br />

14. Mai<br />

„Höchsttemperatur 25°“ – das gibt „Hitzeferien“, falls es<br />

um 10 Uhr stattfindet. Das gabs einmal als angenehme Ge-<br />

schenke der Sonne an Schulkinder und ihre Lehrer, die sich<br />

genau so kindlich darüber freuten. Das war vor dem ersten<br />

Weltkriege, als noch niemand sich träumen ließ, welch unge-<br />

mütliche Zeiten einmal kommen würden. Den Begriff „gemüt-<br />

lich“ und „ungemütlich“ sollte man mal psychologisch analy-<br />

sieren. Ob es etwas Ähnliches noch heute gibt in einer Zeit, in<br />

der nicht nur Abgase verrückter Betriebsamkeit die Luft „ver-<br />

schmutzen“, sondern – kaum bemerkt – dazu die giftigen Nebel<br />

grenzenloser Heuchelei, die alles durchdringt bis in die Träume.<br />

– Achte mal bei der Durchsicht der Zeitung auf Berichte über<br />

„Dürer-Ehrungen“ in der DDR. Schneide dies alles <strong>aus</strong>, es dürf-<br />

ten sich namhafte Beiträge zur Gegenwartskunde zusammen-<br />

finden! Man hätte das bereits bei den Beethoven-Gedenktagen<br />

Ende 1970 tun sollen.<br />

Die scharfe Abgrenzung gegen Westberlin wird unglaubli-<br />

cherweise von Schwächlingen jetzt glatt überwunden: den in<br />

8 F<strong>aus</strong>t II. Fünfter Akt. Mitternacht: „Daß sich das größte Werk vollende, / Genügt ein<br />

Geist für t<strong>aus</strong>end Hände.“

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