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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1969 Devisen<br />

zen“. Von den alten Lehrern sei niemand mehr da. Solche Zer-<br />

störungen kann ein einziger Schädling anrichten.<br />

19. Februar<br />

Eben schickte mir Münch das Inselbuch Nr. 803: Hermann<br />

Hesse, „Die späten Gedichte“ (1968). Vieles davon dürftest Du<br />

zwar haben; aber manchmal will man so ein Büchlein an einen<br />

geeigneten Menschen weiterreichen, wenn es auch nicht viele<br />

davon gibt. (Ich meine Menschen.)<br />

Theater mit Rücknahme von Flaschen: Sieh doch, worum es<br />

sich handelt! Der kleine Mensch im Laden, im „Organisations-<br />

büro“, der an der „Ordnung“ arbeitet – will zur „Geltung“ kom-<br />

men, etwas „bedeuten“, etwas „zu sagen haben“, „wer sein“,<br />

„am Aufbau helfen“ und so weiter. Aus der Fülle der Ausdrucks-<br />

möglichkeiten siehst Du, wie verbreitet dieses Streben ist. Und<br />

nun „ordnet“ jeder dort, wo sich ihm eine Gelegenheit bietet,<br />

heute so – morgen anders – und dann wieder anders. Das Be-<br />

wußtsein: „Das hab ich zu bestimmen“ ist so köstlich, daß ir-<br />

gendwelche Stimme der Vernunft überhaupt nichts bedeutet,<br />

nicht mehr als das Knarren einer Tür.<br />

Und mit dieser Gesinnungs-Roentgenbrille lies die Zeitung,<br />

lies bis zu welchen gefährlichen Punkten sich der Prestigewille<br />

dieser wie jener aufschaukelt, daß Lumpereien lebensbedroh-<br />

lich werden. Der bornierte Wille ist unbelehrbar seit Jahrtau-<br />

senden. Zwei dreijährige Kinder zeigten das mir gestern wieder<br />

auf der Straße, sie werden in dreißig, sechzig, hundert Jahren<br />

genau so dumm aufeinander losgehen, nur hantieren sie dann<br />

mit anderen Waffen. Das besagt nichts Wesentliches.<br />

Heute ist es wieder kälter geworden, die Sonne verbirgt<br />

sich, um das alles nicht mehr zu sehen.<br />

Manchmal kann eine Notiz von einer Zeile das Charakter-<br />

bild eines Menschen wesentlich bereichern: Der Verleger Barth,<br />

der die „Gargantua“-Übersetzung von Regis her<strong>aus</strong>zugeben zu-<br />

gesagt hatte – so etwa 1825 – verzögerte den Druck ungebühr-<br />

lich. Da wurde er vom damaligen Prinzen Johann – später Kö-<br />

nig von Sachsen – stark ermahnt: dieser selbe Johann war der<br />

Übersetzer von Dante, ein sehr kenntnisreicher Herr, Katholik,<br />

in der Theologie des Thomas von Aquino zu H<strong>aus</strong>e wie selten<br />

einer, und dieser selbe beförderte die Arbeit des guten Regis,<br />

in der die päpstliche Welt meisterhaft karikiert wird. Johann<br />

achtete die Meisterschaft, den Fleiß des Regis. Das macht den<br />

Prinzen sympathisch.<br />

25. Februar<br />

Wie kann man sich nur über den Mangel an Insel-Bändchen<br />

aufregen! Das ist doch eine ganz natürliche Sache. Diese Bänd-<br />

chen werden drüben für 3,50 oder 4 Westmark rasch verkauft;<br />

sie bringen also Devisen auf die einfache Weise wie die Engels-<br />

figuren von Wendt und Kühn in Grünhainichen. Ein ganz gerin-<br />

ger Aufwand an Material ergibt einen hohen Gewinn. Das ist<br />

wirtschaftlich vollkommen richtig gedacht. Genau so war es mit<br />

dem schönen Band von Merian-Bildern 5 , von dem vor 2 Jahren<br />

die ganze Auflage nach Holland und Westberlin ging. Die Aus-<br />

gabe kostete hier laut Börsenblatt 38 Mark – aber es war kein<br />

Exemplar zu kaufen. Wie hoch der Preis drüben war, werde ich<br />

vielleicht noch erfahren. Daß ihre Arbeit einmal mit Banka-Zinn<br />

und Java-Kaffee bezahlt werden würde, hat die Sibylle Merian<br />

kaum geahnt. Da heißt es eben „Haltung trainieren“, die keine<br />

Aufregung zuläßt, dabei werden nur Energien vergeudet.<br />

Zu dem, der sich darüber wundert, daß Shakespeare vor<br />

300 Jahren vieles wußte, wäre zu sagen, was Goethe bereits<br />

feststellte, daß man nichts Neues denken kann, das nicht die<br />

Vorwelt schon gedacht, daß nur auf dem Gebiete des Verstan-<br />

des und seiner technischen Anwendung „Fortschritte“ vorkom-<br />

5 M. Merians des Älteren seel. Tochter Neues Blumenbuch, Leipzig 1966 (Reprint).<br />

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