Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1966 Im HO-Papierladen<br />
sende Schaufel kleiner sein mußte als die für den leichten Koks<br />
geeignete. Man nahm Ermüdungskurven auf, nach denen die<br />
P<strong>aus</strong>en festgesetzt wurden, die der Arbeiter einhalten mußte.<br />
Scientific management nannten sich diese Methoden: Ärztli-<br />
che Beratung ist aber etwas anderes als Holz fällen oder Koks<br />
schaufeln. Hier wandelt sich die Klinik zum Sportplatze. Opera-<br />
tionen sind in Rekordzeiten <strong>aus</strong>zuführen. Wie das dem Patien-<br />
ten bekommt, ist nicht weiter wichtig. Das sind Aussichten!<br />
6. Februar<br />
Was in den apokalyptischen Reitern den alten Propheten<br />
wie ein schwerer Traum vor Augen schwebte, geht mit Riesen-<br />
schritten seiner Verwirklichung mit wunderbaren technischen<br />
Mitteln entgegen. Ein Narr, der auf einen Machtknopf drückt,<br />
kann eine Kettenreaktion <strong>aus</strong>lösen, deren Wirkung sich keiner<br />
– auch nicht durch eine Flucht auf den Mond – entziehen kann.<br />
Und dieser Narr wird sich bald finden. Nur bleibt dann keiner,<br />
der ihm ein Denkmal setzt, weil keiner mehr da ist, den dies<br />
interessieren könnte.<br />
Ich lese jetzt die wundervollen Essays von Beutler; darin<br />
stehen Aufsätze, die Dir und mir bisher unbekannt geblieben,<br />
z.B. über Goethes Lili und über Eckermann. Sobald ich damit<br />
zu Ende bin, wirst Du diese Sachen lesen und dar<strong>aus</strong> vieles<br />
lernen. Am Schlusse steht eine ganz feine Arbeit Wachsmuths<br />
über Ernst Beutler. 4 Das ist endlich wieder einmal ein Buch, mit<br />
dem man „streuen“ möchte, d.h. mal eine ganze Auflage kau-<br />
fen und verschenken. An solchen schönen Sachen gemessen,<br />
fällt das Machwerk dieses Friedenthal 5 tief in den Orkus – man<br />
hört nur noch die Jauchengrube der „öffentlichen Meinung“ ein-<br />
mal aufplätschern, in die es hineinplumpst.<br />
4 Ernst Beutler, Essays um Goethe, Bremen 6 1962.<br />
5 Richard Friedenthal, Goethe. Sein Leben und seine Zeit, München 1963.<br />
176 177<br />
10. März<br />
„Drei Briefblöcke, Din A4 ohne Linien bitte!“ – „Da ist gar<br />
nichts da.“ – „Dann zweihundert Blatt Schreibmaschinenpapier,<br />
weiß, Din A4.“ – „Da haben wir nur das einfache.“ – „Bitte<br />
zeigen Sie es mir!“ – „Hier bitte“ – „Danke, das möchte ich<br />
nicht, das wird drüben nicht mal als Closettpapier verkauft.“<br />
– „200 Umschläge, weiß!“ – „Da haben wir nur die einfachen.“<br />
– „Bitte, zeigen Sie her! Da muß man den Klebstoff selbst auf-<br />
tragen? Das ist ja bei Briefmarken auch so.“ – Also keine Angst,<br />
daß ich Euch ein Fuder Schreibmaschinenblätter zuschicke.<br />
Was oben steht, geschah wörtlich im HO 6 -Papier-Laden. Das<br />
sind die Wirkungen. Sie werden noch deutlicher werden. Es soll<br />
sich zeigen, daß der goldene Westen nichts von dem hat, was<br />
wir besitzen. Und da heißt es immer, dort gäbe es alles!<br />
Martin Buber – Hermann Hesse: Martin Buber, ein jüdischer<br />
Gelehrter und Schriftsteller, dessen Name schon vor etwa 50<br />
Jahren genannt wurde und der nach dem zweiten Weltkriege –<br />
soviel ich weiß – in Palästina gestorben ist, müßte doch Hesse<br />
bekannt sein. In dem Bändchen „<strong>Briefe</strong>“ von Hermann Hesse<br />
– 434 Seiten, 1954 erschienen – steht auf S. 302 ein Brief Hes-<br />
ses an Buber, in dem sich Hesse nach dem Erscheinen der<br />
Gesamt<strong>aus</strong>gabe von Bubers Chassidischen Erzählungen 7 be-<br />
dankt, Ende November 1949. Am Ende steht: „Ich habe, seit<br />
wir uns zuletzt sahen, viele Male Freude an Ihren Schriften ge-<br />
habt, am meisten an jenem holländischen Vortrag und an ih-<br />
rem so tapfer-heiteren Beitrag zur Existentialphilosophie. Auch<br />
dafür danke ich Ihnen.“ Ob wir hier jemals diesen Vortrag er-<br />
langen können, das ist sehr zu bezweifeln. Ich wage nicht, ihn<br />
mir <strong>aus</strong> dem Westen kommen zu lassen, weil ich annehme, daß<br />
6 Handelsorganisation; seit 1948 bestehender volkseigener Einzelhandel der DDR.<br />
7 Die Erzählungen der Chassidim, Zürich 1949. Martin Buber (1878–1965) starb in Je-<br />
rusalem.