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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1970 Albrecht Dürer<br />

29./30. Januar<br />

Die „Frühgemüseerzeuger“ – deren es eine Anzahl in die-<br />

sem landwirtschaftlichen Kreise Döbeln gibt, einige haben be-<br />

reits Gurken – sind angewiesen, alles (einschließlich junger<br />

Kohlrüben) für die Messe nach Leipzig zu liefern, die „das<br />

Schaufenster der Republik“ sei. Einwände, daß sie doch die<br />

Lieferverträge mit den Vorbestellern einhalten müßten, wur-<br />

den streng abgewiesen. Da erleben dann die Meßonkels, wie<br />

gut doch hier die Ernährung im Gang ist, daß das nur für diese<br />

„Gastverpflegung“ zutrifft, wird nicht sichtbar. Aber sie können<br />

berichten, selber Gurkensalat und Frischgemüse genossen zu<br />

haben. – Im Zusammenhange mit einem Buche über Dürer 2 und<br />

seine Bilder zur Apokalypse las ich dieses letzte Buch der Bibel<br />

gestern abend gleich nochmal durch. Der Verfasser, Johannes,<br />

der Apostel, entwickelt da eine starke Phantasie der Schreck-<br />

nisse, die zu allen Zeiten – bald mehr, bald weniger – die Er-<br />

wartung eines Weltunterganges erregten. Lebte dieser Apostel<br />

heute, könnte er als Filmregisseur in Hollywood seine Entwürfe<br />

in großen Filmen darstellen. Dort stehen alle Ausrüstungen al-<br />

ler Zeiten in bester Ausführung zur Verfügung: zahllose Rüstun-<br />

gen, Waffen, Kostüme, Maschinen in bester Ausführung, Säle<br />

voll blanker SA-Stiefel, Waffen, bewegliche Untiere, Drachen<br />

etc. vielleicht sogar ein marinierter Hitler.<br />

31. Januar<br />

In der Apokalypse und auf Dürers apokalyptischen Reitern<br />

ist der mit Pfeil und Bogen der Erfinder des Bakterienkrieges;<br />

denn er verschießt die Pestilenz. Diese Geschichte ist also ur-<br />

alt, 2000 bis 3000 Jahre.<br />

2 Heinrich Woelfflin, Die Kunst Albrecht Dürers, München 1905, s. auch Brief vom 16.<br />

und 28. Februar 1970.<br />

5. Februar<br />

Hoffentlich kommen nun für Dich ein paar freie Tage; nach<br />

den bisherigen Erfahrungen werden da oft Erfindungen ge-<br />

macht, die Zeit mit „Sitzungen“ und anderen Beschäftigungen<br />

anzufüllen oder zu zerstückeln, nicht weil diese Zeitvertreibe<br />

„nötig“ wären, sondern weil alles in Bewegung und Unruhe ge-<br />

halten werden soll. Ich verstehe schon, daß man mich für ei-<br />

nen Reaktionär hält, der die „früheren Zeiten“ über den grünen<br />

Klee lobe. Das tu ich gar nicht, ich frage nur nach dem Sinn<br />

der Maßnahmen und erkenne leider zu vieles, was manchmal<br />

den Veranstaltern selber noch gar nicht als bedenkenswert er-<br />

scheint. Daß hinter dem kleinsten Ding – einem Körnchen Salz<br />

– eine Idee lebt und ebenso hinter jeder Handlung, das be-<br />

greift man nicht.<br />

16. Februar<br />

In dem Woelfflin’schen Dürerbuche fand ich in einer Be-<br />

trachtung eine Besprechung von Dürers Kupferstich „Melan-<br />

cholie“, die mir nicht recht geglückt scheint. Er kommt mit<br />

dem Kristallblock, der in der Blickrichtung des Betrachters in<br />

der Bildmitte liegt, nicht ins Reine. Dazu ließe sich anderes sa-<br />

gen. Zu Dürers Zeiten empfand man freilich nur etwas von dem<br />

magischen Zauber des Kristalls, noch ohne zu wissen, welche<br />

Wachstumsgesetze am Werke sind und bestimmte Formen er-<br />

zwingen. Daß die Rationalität der Achsenabschnitte z.B. nicht<br />

erlaubt, daß beim Pentagondodekaeder die fünfeckigen Be-<br />

grenzungsflächen regelmäßige Fünfecke sein können. Gewiß<br />

kann man einen solchen regelmäßigen Körper als Modell in ir-<br />

gendeinem Stoffe bauen – aber bei diesem werden dann die<br />

Proportionen der Achsenabschnitte irrational. Das ist bei natür-<br />

licher Kristallbildung völlig <strong>aus</strong>geschlossen. Es ist zu verglei-<br />

chen der Tatsache, daß ein völlig reiner Ton auf einer Geigen-<br />

saite nur an dem einen, für diesen Ton richtigen Punkte erklin-<br />

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