Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1965 „Große Knieende“<br />
Wortlaut ist oft völlig verändert. Das ist der Busschaffner ***<br />
in einer anderen Stellung mit dem gleichen hämischen Aus-<br />
druck des „Machthabers“. Solche Fratzen sind an keinen so-<br />
ciologischen oder intellektuellen Standort gebunden; sie sind<br />
überall nicht nur möglich, sondern wirklich vorhanden. Das ist<br />
doch furchtbar.<br />
14. Dezember<br />
Max Planck: es darf nicht übersehen werden, daß die Nazi<br />
seinen hochbegabten Sohn ermordet haben! Daß hinterher<br />
die Gewitheorie – <strong>aus</strong> „kulturellem Schmuckbedürfnis“ – viele<br />
Übeltaten verschweigt und große Leute so umlügt, daß alles<br />
andre als die „Wahrheit“ bleibt. Durch irgendeine „vorgeschrie-<br />
bene Brille“ gesehen, nehmen sich viele Dinge ganz anders<br />
<strong>aus</strong> als wenn man sich bemüht, Menschen und Probleme ohne<br />
solche Filter zu betrachten – soweit das erkenntnismäßig über-<br />
haupt möglich ist.<br />
Es freut mich sehr, daß Du nicht allein zu dem Vortrage der<br />
Goethe-Gesellschaft gehen brauchst. Es handelt sich bei dieser<br />
Farbenlehre auch um zwei verschiedene Standpunkte der Be-<br />
trachtung: Newton strebt nach einer physikalischen Erklärung<br />
des Objektes „Farbe“ – Goethe geht von der subjektiven Emp-<br />
findungswelt der Farbeneindrücke <strong>aus</strong> und bemüht sich, diese<br />
zu verstehen. Genau so, wie man an einer Sinfonie mit physi-<br />
kalischen Mitteln eine Tonanalyse vornehmen – oder sich den<br />
durch sie geweckten Empfindungen hingeben kann, oder wie<br />
man einen Blumenstrauß biologisch-botanisch betrachten oder<br />
sich an Duft, Farben, Formen freuen und ihn wie de Heem dar-<br />
stellen kann. […]<br />
Das Lesen früherer Jahrbücher der Goethe-Gesellschaft ist<br />
eine Art Morphium, mit dessen Hilfe man sich der unerquickli-<br />
chen Gegenwart entziehen kann, wenigstens auf einige Zeit.<br />
21. Dezember<br />
Am Kolbe-Denkmal hat man die Grasfläche mit abgesägten<br />
Fichten besteckt und grell bemalte <strong>aus</strong> irgendeiner Pappe ge-<br />
schnittene „Märchengestalten“ hingestellt – die Geschmacklo-<br />
sigkeit ist nicht zu übertreffen. Das zeigt, daß die „erzieheri-<br />
sche Wirkung“ des schönen Gebäudes und der Kolbe-Gestalt 13<br />
nur in den Hirnen verkalkter „Kunsterzieher“ vorhanden ist. Es<br />
müßte sich doch jeder scheuen, den Platz zu verunstalten –<br />
keineswegs. Ich hätte große Lust, das zu zerstören.<br />
24. Dezember<br />
Bei der „Großen Knieenden“ wäre zu bedenken, daß sie als<br />
ein sehr ernstes Denkmal des Krieges aufgefaßt werden kann:<br />
eine Frau, mit einer Pflanzarbeit am Boden beschäftigt, ver-<br />
nimmt (oder glaubt zu vernehmen) den Ruf eines Vaters, Soh-<br />
nes, Mannes, der in der unendlichen Weite des Krieges verlo-<br />
renging, erhebt sich rasch, mit dem linken Arme das Gleichge-<br />
wicht haltend, mit der Rechten die Blendung durch die Sonne<br />
abschirmend und schaut in die Ferne. […]<br />
Vergleiche Goethes „Iphigenie“: „Der Frauen Schicksal ist<br />
beklagenswert –“ 14<br />
13 Georg Kolbe, Große Knieende (1935/36), s. auch Brief vom 12. August 1974.<br />
14 Iphigenie auf Tauris. Erster Aufzug. Erster Auftritt: „Der Frauen Zustand ist bekla-<br />
170 171<br />
genswert.“