Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1960 Einzelner und Gemeinschaft<br />
ren selbst erlebten, wie man in die Musik hineinwachsen kann.<br />
Und dabei haben wir – wir alle – ganz unbewußt einiges mit-<br />
bekommen, Kunst und Kultur vergangener Jahrhunderte von ei-<br />
ner tieferen Grundlage her zu erfassen als es bei einer bloß in-<br />
tellektuellen Bemühung möglich ist. Uns klingt Barock und Ro-<br />
koko mit Corelli, Bach, Mozart in den Ohren.<br />
<strong>Waldheim</strong>, Mittwoch, den 10. August<br />
Bei dem Büchner 22 vergiß nicht, bei Unklarheiten in das<br />
sehr <strong>aus</strong>führliche Register zu schauen, da ist allerhand erklärt.<br />
Daß den Schülern mal der ganze Revolutionskram über sein<br />
wird, verstehe ich. Mir ist auch die Kristallwelt viel lieber als die<br />
Unmenschlichkeiten und die armseligen Menschlichkeiten des<br />
revolutionären Getriebes, in dem in vergrößertem Maßstabe die<br />
Erbärmlichkeit des homo sapiens sichtbar wird.<br />
Gestern hab ich Briketts aufgeschichtet und muß das heute<br />
fertig machen. So ein Brikettstoß kann als großes Kristallmo-<br />
dell angesehen werden, in dem die einzelnen Briketts die Mo-<br />
leküle vorstellen, <strong>aus</strong> denen der Kristall sich aufbaut. Nur – der<br />
macht das selber und hier bin ich der Erbauer, den dann die<br />
halben Stücke verdrießen.<br />
12. August<br />
Bei der Lektüre des Büchner vergiß nie, daß es die Schrif-<br />
ten eines sehr jungen, früh gestorbenen Menschen sind, der<br />
die Schriften vielleicht nicht alle in dieser Form hätte drucken<br />
lassen.<br />
26. August<br />
Lies beiliegenden Zeitungs<strong>aus</strong>schnitt, heb ihn bei den Ver-<br />
ordnungsblättern auf – und beachtet ihn. Das heißt in diesem<br />
22 Gemeint ist vermutlich die Gesamt<strong>aus</strong>gabe im Insel-Verlag: Georg Büchner, Werke<br />
und <strong>Briefe</strong>, Wiesbaden 1958.<br />
Falle, von der Freiwilligkeit zur Teilnahme an der „Ganztags-<br />
schule“ Gebrauch machen. Ich weiß, daß möglicherweise ein<br />
gelinder Druck <strong>aus</strong>geübt wird, der diese „Freiwilligkeit“ <strong>aus</strong>lö-<br />
sen soll. Aber da heißt es „principiis obsta!“ [Widerstehe den<br />
Anfängen!] Die Kinder sollen sich von Anbeginn da auf nichts<br />
einlassen, die „Freiwilligkeit“ betonen und einfach nicht hinge-<br />
hen. Wenn die Gemeinschaft gedeihen soll, muß erst der Ein-<br />
zelne für sich allein sich zu einem Wertfaktor entwickeln. Das<br />
geschieht eben nicht in der Herde. Jeder Schäferhund wird ein-<br />
zeln abgerichtet. Und daß sie dauernd Faulen und Unfähigen<br />
helfen sollen, ist nicht nötig. Gesetze sind da, um beachtet zu<br />
werden, auch die, die für den Einzelnen günstig sind. Kein Di-<br />
alektiker – oft Fremdwort für „Schwätzer“ – wird mich von die-<br />
ser Meinung abbringen. Man muß schon den Mut haben, zu<br />
sagen, daß auch Konzilien – in diesem Falle Parteisitzungen –<br />
irren können. Ich denke nicht dran, meinen Verstand für man-<br />
gelhafter zu halten als den in einer Parteisitzung entwickelten<br />
und wenn diese in 8800 m Höhe stattfindet.<br />
2. September 9 30 früh<br />
Schönsten Dank für den eben erhaltenen lieben Brief. Ges-<br />
tern hab ich – um die letzten Filme des Filmpacks zu verknip-<br />
sen – einige meiner Kristalle photographiert und dann abends<br />
von 8 h bis 12 30 neun von dem Filmpack entwickelt; ich glaube,<br />
es werden sich ganz nette Bilder ergeben. Heute abend will ich<br />
mal Kopien davon machen. Wenn sie gut werden, bringt Dir<br />
Großmutti Abzüge mit. Von allen?<br />
Heute 16 30 werde ich den Daumen halten. Es wäre falsch,<br />
zu sagen, ich will an Euch denken – das geschieht ununter-<br />
brochen. Aber gespannt bin ich auf das Ergebnis des so lange<br />
erwarteten Vorspielens. Daß Stups so fleißig geübt hat, freut<br />
mich ganz <strong>aus</strong>nehmend. […] Dabei sind Gewandtheit im Spiel<br />
und Verständnis für echte Musik zugleich mit gewachsen. Die-<br />
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