Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

1966 Bärte in der Geschichte
21. Januar
Daß ich mir für 7,50M eine Flasche kaufte, schrieb ich wohl
bereits, auch daß ich das nicht wiederholen werde, da das
DDR-Zeug nichts taugt. Wie einer davon sich besaufen könnte,
ist mir völlig rätselhaft. Das kann man Säuglingen unverdünnt
geben.
22. Januar
„Technik – Fortschritt“ – vergiß bitte nicht, daß die Amerikaner
den Westen anders ausbeuten als die Russen den Osten.
Das erklärt sich aus der ungeheuren Distanz in der Zivilisation
der beiden. Die unsern nehmen, was sie greifen können – die
andern geben etwas, für das sie sich sehr gut bezahlen lassen.
Z.B. da sie Absatz für ihren Ölvorrat suchen, veranlassen sie,
Ölheizungen zu bauen und sie haben einen wahrhaft laufenden
Gewinn daraus. Dort ist der englische, weitblickende Egoismus
am Werke: schaffe den Leuten Bedürfnisse, für deren Befriedigung
du dich dann sehr gut bezahlen lassen kannst.
25. Januar
Saiten: Es ist gut, die Cello-Saiten zu besorgen. Bitte schick
sie her. Ob sich es empfiehlt, Violin-Saiten herüber schicken zu
lassen, ist fraglich, nachdem Ihr selbst erfahren habt, daß diese
beschädigt hier ankamen. Ich denke, diesen Sommer, wenn
ich es schaffen kann, bestimmt nochmal zu fahren und bringe
dann die Saiten mit. Denn sie sich von solch einem Strolch anzwicken
zu lassen, ist zu verdrießlich, weil man diese Burschen
nicht erwischen und verdreschen kann. Mich empört bei solchen
Angelegenheiten weniger der Sachschaden als das Übertölpelt
werden.
27. Januar
Da wurde in früheren Zeiten „Kaisers Geburtstag“ gefeiert,
nämlich des 1859 geborenen Wilhelm II., der durch seine
Schnurrbartform „Es ist erreicht“ bekannt war, die Fabrikation
der Bartbinde in Gang und den ersten Weltkrieg zum Ausbruch
gebracht hat. Die Bärte sind Symbole: da ist Kaiser Rotbart 1 ,
dessen Bart durch den Marmortisch im Kyffhäuser gewachsen,
Eberhard der Rauschebart 2 aus Schwaben, Hitler mit dem Zahn-
bürstenbart, einer mit Spitzbart 3 , bis zu dem Kranzbart des Cu-
baners Fidel Castro, den man hier an Studenten eine Zeit lang
sah. Man kann die Geschichte an Hand der Bärte erzählen.
30. Januar
Hier hat ein Werber für verlängerten Kasernendienst recht
unglaubliches Zeug gesagt! Da ist an den kleinen Jungen zu
denken, der dem die Geige stimmenden Lehrer zurief: „Du
wirst noch so lange dran rum mährn, bis Dir der Droht nei de
Freß’ springt“ – ein sehr ernster Ausspruch eines ABC-Schüt-
zen – sooo ist es!
1. Februar
Wo wird sich der Unfug mit der Stoppuhr in der Beobach-
tung der Ärzte abspielen? Nur in Döbeln oder auch in Leipzig?
Die Methode ist an sich nicht neu; sie kam im und nach dem
ersten Weltkriege in der amerikanischen Industrie auf als das
nach seinem Erfinder benannte Taylor-System, das den neuen
Beruf des Zeitstudieningenieurs hervorbrachte. Man wollte da-
mit die optimalen, nicht die maximalen Arbeitsmethoden ermit-
teln. Das erstreckte sich auch auf die Form der Werkzeuge: eine
Kolonne Schaufler z.B. in den Bethlehem Steel Works hatte,
dieselbe Schaufel in der Hand, bald Koks, bald Erz zu schau-
feln. Man fand heraus, daß das falsch war, da die für Erz pas-
1 Friedrich I. Barbarossa (1122–1190).
2 Eberhard I. im Bart (Barbatus, 1445–1496), Herzog von Württemberg.
3 Staatsratsvorsitzender der DDR Walter Ulbricht (1893–1973).
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