05.12.2012 Aufrufe

Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

1969<br />

wer es vermeiden kann, geht nicht hin<strong>aus</strong>. Ich bin froh, heute<br />

nicht nach Dresden zu fahren, wie das für mich gedacht worden<br />

war. Der Bahnhof ist in der Gepäckabfertigung überladen, weil<br />

Paketwagen fehlen. So häufen sich Behinderungen und Unfälle,<br />

weil es einem Druckgefälle in der Atmosphäre beliebt, Schwan-<br />

kungen zu verlagern und nach leicht faßbaren physikalischen<br />

Gesetzen Ströme von Kaltluft <strong>aus</strong> Skandinavien südwärts über<br />

Europa schwimmen zu lassen. Ob wohl die Warenhäuser noch<br />

so von Wärme durchflutet sind? So war das bereits im Oktober<br />

in Nürnberg; an jedem Eingang stieg ein Vorhang heißer Luft<br />

empor, und innen war das ganze Gebäude warm wie ein Ge-<br />

wächsh<strong>aus</strong>. Der Wind soll nun von Süden kommen, aber von<br />

den dick verschneiten Ästen bewegt sich keiner; dem warmen<br />

Südwinde graut es offenbar auch vor der grimmigen Kälte. Und<br />

die Rauchfahne schleicht immer noch mehr westwärts, was das<br />

Vorhandensein kalter Ostluftbewegung anzeigt. Es ist eigent-<br />

lich naiv, nach solchen Zeichen <strong>aus</strong>zuschauen; denn „Nach ewi-<br />

gen, ehernen, / Großen Gesetzen / Müssen wir alle / unseres<br />

Daseins / Kreise vollenden“ 20 . Beim Aufziehen meiner Wand-<br />

uhr auf einem Stuhle stehend merke ich, daß es sinnvoll wäre,<br />

hohe Barhocker als Stühle anzuschaffen; in der Höhe ist es viel<br />

wärmer als in der Nähe des Fußbodens.<br />

20 Aus Goethes Gedicht Das Göttliche.<br />

272 273<br />

1970<br />

7305 <strong>Waldheim</strong> i. Sa., den 2. Januar, 21 h<br />

Frage nicht, was mir alles durch das Bewußtsein wogt. Was<br />

wissen wir über die Fernwirkung guter Wünsche und lieber Ge-<br />

danken. Wir bewundern die technischen Vollkommenheiten<br />

moderner elektronischer Maschinen, ohne daran zu denken,<br />

daß es vielleicht im Bereiche seelischer Funktionen Vorgänge<br />

gibt, die sich jeder verstandesmäßigen Analyse bisher entzo-<br />

gen – aber wirksam sind. Die alten Begriffe von „Segen“ oder<br />

„Fluch“, die gewissermaßen in eine „Kammer für Veraltetes“<br />

verwiesen sind, diese Begriffe rufen doch zum Nachdenken auf.<br />

Oder meinst Du, daß ich zu viel Alkohol zu mir nahm, als Teil<br />

meines einsamen Abendbrotes? Noch erfasse ich ohne Fehlgriff<br />

die Türklinke im Dunklen und glaube auch, ohne viele ortho-<br />

graphische Fehler zu schreiben, obwohl sich der Spiegel in der<br />

Weinbrandflasche bedenklich dem Boden nähert.<br />

Als ich diesen Nachmittag Deinen Brief zum Kasten brachte<br />

und Brot und sonst verschiedenes einkaufen wollte, begegnete<br />

mir ***, der gerade auf dem Wege war, mir einige Bücher zurück-<br />

zubringen und Cigarren und eine Flasche Wein. Er nahm mich<br />

gleich mit zum Kaffee, schickte eine ihn begleitende Verwandte,<br />

meine Einkäufe zu besorgen und brachte mich dann nach dem<br />

Kaffee in meinen Bau auf die Turmstraße. Er sagte ganz heiter,<br />

daß seine Kohlen noch acht Tage zu reichen versprechen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!