Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

1962 Meine alte Vorliebe für Schrift
katen, Loxodrome. Kegel-, Pyramiden- u. Cylinderschnitte sah
man entstehen als Lichtflächen. Das war eine sehr genußrei-
che Sache.
9. April
Heute werde ich mit den 848 Seiten des Kriegsbuches 5 fer-
tig, das mir Dr. Toepel 6 vor seiner Abreise gebracht hat. Das ist
ein sogenanntes „berühmtes Buch“. Aber es tut mir leid, Hugo
von Hofmannsthal widersprechen zu müssen, der es für eins
der schönsten Bücher erklärt, die er je gelesen. „Dieser Mensch
ist ebenso bewundernswert und der wahre Typus des Helden,
unserer Zeit angehörig wie jeder früheren, als er von einer un-
vergleichlichen Eleganz und innerer Grazie ist – und dazu wun-
derbarerweise ein so großer Schriftsteller wie Sallust. Ich weiß
nicht, was ich geben würde, ihm zu begegnen.“ Und so weiter.
Carl Burckhardt urteilt viel sachlicher. 7 Und ich verfluche den
Kerl samt dem Buche: Der Verfasser hat 1) einen alten Minder-
wertigkeitskomplex (der nur in einer halben Zeile des dicken
Wälzers sichtbar wird), 2) er hat in früher Jugend ein schweres
psychisches Trauma versetzt bekommen (ist aus einem Satze
zu erschließen) – aus diesen psychischen Schäden erhebt sich
der politische und persönliche Ehrgeiz eines Abenteurers, der
mit allen Mitteln die Welt erstaunen lassen will. Und – siehe
Hofmannsthal – es gelingt ihm. Da werden Menschen ohne Zahl
sinnlos gemordet, Städte zerstört, fahrende Eisenbahnzüge mit
Bomben in die Luft gejagt und so weiter. – „Der wahre Ty-
pus des Helden“ sagt der Romantiker Hofmannsthal, der win-
5 Thomas Edward Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit.
6 Der praktische Arzt Sanitätsrat Dr. Curt Töpel (1902–1979) war nach Dr. Adolf Mohrs
Weggang aus Waldheim Arthur Pfeifers Hausarzt und Gesprächspartner. Arthur
Pfeifer besuchte ihn zuzeiten jeden Sonntag.
7 Briefe vom 20. bzw. 29. Dezember 1927. Vgl. Hugo von Hofmannsthal / Carl J. Burck-
hardt, Briefwechsel, Frankfurt am Main 1991 (Neuausgabe von 1956), S. 253–255.
selt, wenn der Kaffee alle ist; aber hier sieht er vielleicht so ei-
nen nachträglichen Kreuzfahrer. In das Schicksal eines Betrof-
fenen können sich die Leute nicht versetzen. Wenn ein eitler
Mensch mit einer stolzen Entschiedenheit auftritt, blendet er
selbst gescheite Leute, denen man ein selbständiges Urteil zu-
trauen sollte.
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10. April
Schönen Dank für den Brief, plena novarum rerum [voller
Neuigkeiten]. Ich hab nun doch die 15 M von der Post und noch
10 M dazu für mich verpulvert und mir so ein Schriftblatt des
leider in Einzelblätter zerlegten spanischen Psalters schicken
lassen, zunächst bloß aus meiner alten Vorliebe für „Schrift“.
Es gelingt langsam – vorhin erhielt ich das Blatt – den Sinn
zu entziffern. Das ist dadurch erschwert, daß die alten Schrei-
ber Abkürzungen anbrachten, die nicht immer leicht zu deuten
sind, z.B. Du liest aia und kommst nach und nach dahinter, daß
das anima besagt. Also die umgekehrte Schreibweise wie im
Hebräischen, wo die Vokale ungeschrieben bleiben. Der letzte
Satz des Blattes ist als Wandspruch oder auch groß als „Trans-
parent“ möglich: „obstructum est os loquentium iniqua“: Der
Mund derer, die Ungerechtes reden, muß verstopft werden. 8
Wenn das Sitte würde, bekämt Ihr täglich weißes Papier als
Zeitung, eine große Erleichterung der Zeitungsschau 9 (= kommt
als Abkürzung vom „Schauerlichen“!)
12. April
Bäßler lieh mir die Photokopie einer Zeitungsseite der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 11. Juli 1959, enthaltend
ein Stück „Schreibtischliteratur“, einen Aufsatz 10 des westdeut-
8 Nach Psalm 63,12
9 Kurze politische Unterweisung vor dem Unterricht anhand der Staatspresse.
10 Zum Thema Geschichte