Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

1962 Ein schmucker Arbeiter-Palast
schen Dichters Gottfried Benn aus dem Jahre 1943, nie veröf-
fentlicht, weil für den Verfasser lebensgefährlich, gerichtet ge-
gen das „Dritte Reich“, erhaben rücksichtslos. Nun aber das zu
Beachtende: auch nach 1945 wurde nicht gewagt, dies zu dru-
cken, und so erscheint er 1959 zum ersten Male in einem Band I
der „Essays, Reden und Aufsätze“ des Dichters – dessen Tod
man abgewartet hat, ehe man dies zu drucken wagte, weil der
Verfasser vermutlich vor seinem Tode gestorben worden wäre.
Das zeigt deutlicher als vieles andre das westliche Klima. – Daß
drüben der Mörder 11 Liebknechts und Rosa Luxemburgs sich
jetzt (jetzt) seiner Tat gerühmt hat, wirst Du gelesen haben. –
Nein, pflückt Gänseblümchen, und lest nichts mehr. Die „Raum-
schiffe“ sind symbolisch, es wird Zeit, den Saustall „Erde“ zu
verlassen.
13. April
Eine umfassende Krähenvergiftung ist angeordnet: man
lernt nichts! Das hatte schon mal der Göring angestellt mit
der Wirkung, daß sich die Feldmäuse in schauriger Weise ver-
mehrten. Das hab ich damals in der Zschopauer Gegend gese-
hen: die Felder waren zersiebt von Mäuselöchern, deren Be-
wohner man in Riesenzahlen ungestört beobachten konnte. Ob
diese nun weniger Flurschaden machen als die Krähen, die de-
ren Zahl verringerten? Aber „wir sind stolz“ – immer – „wir be-
herrschen die Natur!“ Leider nicht die eigene. – Schneider ***,
der 1917 an der syrischen Front war – wo dieser Lawrence die
Araber aufwiegelte – bestätigte, daß vor allem häufig Einzel-
posten von den Arabern umgebracht wurden – eine herrliche
Welt. – Leider fehlen für die Jugendgeschichte des Caesar alle
Quellen. Aber aus den späteren Verbrechen dieses Helden kann
11 Waldemar Pabst (1880–1970) war der Organisator des Doppelmordes, vgl. sein In-
terview in: Der Spiegel vom 18. April 1962.
man wohl auch auf einen Psychopathen schließen. Ob schon
mal einer eine vergleichende Geistesgeschichte der „Helden“
geschrieben hat?
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30. April
Eben kam wieder eine Handvoll Schnee durch die Luft ge-
wirbelt. Das erfüllt mich mit Kummer, weil ich daran denke, daß
Du eigentlich im Sonnenschein durch Wald und Flur streifen
solltest. – Der alte Mann schrägüber ist von pöbelhafter Rüs-
tigkeit, baut, gärtnert, schleppt, hämmert – und das als Rent-
ner! Der sollte in den „Arbeitsprocess“ gespannt werden. Es ist
aufreizend, so einen zu sehen. Allerdings hat er ein Leben lang
seine Kraft gespart, denn er stand früher als „Aufseher“ bei
den Gefangenen herum, ohne selbst etwas zu tun – und jetzt
genießt er aufgesparte Kraft. Wenn ich dabei meine Hinfällig-
keit merke, verdrießt mich das; schön ist das nicht. Ganz unbe-
kümmert nagelt er bei dem Schneegestöber seine neuen Zaun-
latten an, heftig den Hammer schwingend.
5. Mai Sonnabend nachm.
Ob bei Dir jetzt auch die Sonne scheint? Hier ist mal einen
Nachmittag ein klarer Himmel. Am Fliederbusch stehen bereits
die neuen Blütenrispen noch in Knospen und warten auf war-
mes Wetter, wie ich. Drüben wuselt der fleißige Alte mit zwei
Maurern beim Bau von einem halben Dutzend Gartensäulen,
nachdem sie erst eine neue Grundmauer im Florentiner Rustica-
Stil aufgeführt haben. So ist in den letzten Jahren dieses alte
Haus nach und nach ein schmucker Arbeiter-Palast geworden:
in einem Jahr ein neues Dach, im andern das ganze Haus neu
verputzt, im dritten eine Garage gebaut für das eigene Auto,
jetzt ist Gartenmauer und Tor neu errichtet. Das muß man eben
auch sehen; vor 50 Jahren wäre so etwas kaum möglich gewe-