05.12.2012 Aufrufe

Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

1968 „Es wird durchgeblüht“<br />

zis <strong>aus</strong> Österreich geflüchtet, über die Schweiz und dann nach<br />

Nordamerika. Der Kontrast zwischen den Machtansprüchen des<br />

Nazi-Staates (jedes Staates!) und den Kräften der Kultur müßte<br />

jedem deutlich werden.<br />

8. Juni<br />

Als ich eben von der Post, der ich einen Brief an Dich gab,<br />

daß er am Montage ankomme, zurückkehre, halten mich zwei<br />

Herren auf, die eben bei mir gewesen waren ohne mich anzu-<br />

treffen: zwei Schüler, die 1916–1918 einer von mir geführten<br />

Klasse angehörten. Sie schwärmten mir viel vor, wie schöne<br />

Jahre das gewesen (im Kriege!). Da sagte der eine: „Und die<br />

Wanderungen damals in den Wald!“ Worauf ich erwiderte: „Be-<br />

sonders die am 2. Juli 1917 nach dem Nonnenwald. Nur daß<br />

auf dem Rückwege ein Windstoß Ihren Strohhut so weit in ein<br />

Ährenfeld entführte, daß er verloren ging.“ Da waren die bei-<br />

den sehr überrascht, daß ich mich daran erinnerte. Klar wurde<br />

mir dabei: das Übermitteln von „Kenntnissen“ in irgendeiner<br />

Schule ist etwa das „Setzen“ von Bohnenstangen. Wenn sich an<br />

diesen nicht die Pflanzen der Lebenshilfe hinaufranken, ist von<br />

ihnen nichts zu ernten. Bildung wächst nur in der lebendigen<br />

Beziehung. Das bedeutet: ein nackter Unterricht mit Hilfe von<br />

Maschinen pflanzt Bohnenstangen, die keine Früchte tragen.<br />

1. Juli<br />

Das Buch des 94jährigen Karl Foerster „Es wird durchge-<br />

blüht“ las ich gestern, und ich schicke es dann nach Nürnberg.<br />

Ich will versuchen, noch ein paar Exemplare davon zu finden.<br />

Freilich, dieser feierliche Stil ist zunächst nicht jedermanns Sa-<br />

che. Aber es steckt eine Fülle von Weisheit und von Kenntnis-<br />

sen in dem schmalen Bändchen, trotz aller romantischen Ver-<br />

klärung. Romantik ist eben nicht nur eine bestimmte, längst<br />

verklungene Periode der Kunst- und Literaturentwicklung, son-<br />

dern ein Zustand, eine Betrachtungsweise, die jederzeit wieder<br />

lebendig werden können. Es sind doch auch eine Menge exak-<br />

ter Angaben in diesen Blättern. So z.B. daß 1721 – Ende des<br />

Nordischen Krieges – die ersten Beutel mit Sonnenrosensamen<br />

<strong>aus</strong> Mittel- und Südamerika nach Paris kamen und von dort <strong>aus</strong><br />

sich über Europa verbreiteten. Man sollte einmal eine „Welt-<br />

pflanzenkarte“ entwerfen, auf der deutlich würde, wie heute<br />

von jedem Garten, von jedem Fensterbrett mit Blumen, <strong>aus</strong> Fel-<br />

dern und Obstgärten Verbindungen von Pflanzen in alle Erd-<br />

teile bestehen, nicht gerechnet, was in Gewächshäusern großer<br />

Botanischer Gärten an fremden Pflanzen gepflegt wird. Dann<br />

würde man die Übersicht verlieren, weil <strong>aus</strong> der gesamten<br />

Weltflora Gewächse anzuführen wären. Reiften doch in einem<br />

Gewächsh<strong>aus</strong>e in Dahlem ganz normale Bananen.<br />

224 225<br />

11. Juli<br />

Gestern sah ich den Film „My fair Lady“ nach einem Stück<br />

von Shaw an. Sehr gut! Zunächst technisch schon. In der Farb-<br />

gebung ganz hervorragend; ein Fehler war, daß man ihn in ei-<br />

nem zu raschen Tempo abkurbelte, wodurch sprachlich viel ver-<br />

loren ging. Jetzt möchte ich das Stück lesen. Man sollte bei<br />

solchen guten Sachen Textbücher verkaufen. Ein Sprachgelehr-<br />

ter drillt in eiserner Arbeit ein Blumenmädchen in sechs Mo-<br />

naten so, daß er sie an die Spitze der „besten Gesellschaft“<br />

bringt – wobei er zugleich diese „Gesellschaft“ kritisiert. Die<br />

Sch<strong>aus</strong>pielerin, die das Mädchen darstellt, ist in der Vielfalt ih-<br />

res Gesichts<strong>aus</strong>druckes nicht zu übertreffen. Da wird an keiner<br />

Stelle „mit Fleisch und Mädchenbeinen“ der Zuschauer abge-<br />

lenkt. Bedeutsame Sätze über den Wert einer guten Sprache.<br />

„Das beste Englisch wird nicht in England, sondern von Auslän-<br />

dern gesprochen.“ Den Film möchte ich in natürlichem Tempo<br />

in London hören.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!