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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1974 Rücktritt von Willy Brandt<br />

dem Schulgelände ein paar Bäume oder einige Rhododendren<br />

pflanzen lassen – das werde ich ihm sagen. Wenn man mich<br />

doch in Ruhe ließe! Ich kann doch nichts dafür, so alt gewor-<br />

den zu sein.<br />

Kissinger reist in diesen Tagen täglich zwischen Jerusalem<br />

und Assuan hin und zurück; das sind pro Reise 1000 km Luftli-<br />

nie, also etwa von München nach Rügen. Wir kommen in die-<br />

ser Zeit von hier nach Grimma, etwa 40 km!<br />

Heute bekam ich die neue Kohlenkarte. Ich hab doch noch<br />

genug von dieser Sache. Erstmal abwarten; wer weiß denn, ob<br />

man das Zeug braucht. Interessant ist daran nur, daß nach 29<br />

Jahren so etwas noch „auf Karten“ geliefert wird.<br />

2. Februar<br />

In der vielen Post kamen auch <strong>Briefe</strong> von Schülern alter Zei-<br />

ten, von solchen von 1917 und von Leuten, die ich 1953/54 bis<br />

zum Abitur in Döbeln hatte. Das sind doch auch bereits zwan-<br />

zig Jahre her. Und nun sitze ich hier, diese Wünsche zu „ver-<br />

danken“, wie es im Schweizerdeutsch heißt. Schöne Blumen in<br />

Fülle. Ein Glückwunsch vom Staatsrat in Berlin, von der Stadt,<br />

von der Gewerkschaft, von den Kollegen – und dabei ist es<br />

doch kein Verdienst, neunzig Jahre alt zu werden.<br />

7. Februar<br />

Gestern war meine gesamte Tagesleistung die, sechs <strong>Briefe</strong><br />

zu schreiben (also zwölf Seiten), zu mehr reichte es nicht. Mit-<br />

ternacht hörte ich glockenrein das A-Dur Trio von Haydn – eine<br />

wunderbare Sache – und das „Forellenquintett“ von Franz Schu-<br />

bert. Solche Musik bleibt das Beste von allem Betrieb der Zeit.<br />

Heute scheinen alle Vögel der Umgebung sich bei mir zu<br />

versammeln; eine Amsel setzte sich flötend auf das Brett am<br />

Fenster noch während ich Futter <strong>aus</strong>streute. Finken und Mei-<br />

sen – über dreißig bevölkerten erst den Baum vor dem Fenster<br />

und sorgten dann dafür, daß ich heute noch einmal Futter zu<br />

streuen habe. Das tu ich gern.<br />

352 353<br />

8. April<br />

Gestern eine „Leseprobe“ <strong>aus</strong> dem „Archipel“ 2 – ganz<br />

furchtbar! Viele Beurteilungen früherer Ereignisse sind umzu-<br />

werten. Aber gewisse Mächte werden das zu verhüten wissen.<br />

Wenn Du wüßtest, was das besagt!<br />

13. April<br />

Schopenhauer begrüßte die „Abwesenheit von Übeln“. Die<br />

andre Haltung – zunächst das Gute zu sehen und das Schöne –<br />

ist wohl mehr zu empfehlen. Diese glückliche Begabung erlebte<br />

ich am schönsten <strong>aus</strong>gebildet bei Karl Foerster, dem selbst<br />

Herbstlaub auf einem Wege nicht die Verdrossenheit wecken<br />

konnte, die viele Leute dabei empfinden. Und ebenso der Or-<br />

chideenzüchter de Kruif in Babelsberg, der bei einer Betrach-<br />

tung seiner Schätze zu mir sagte: „Regen Sie sich nicht auf,<br />

wenn an einer Pflanze ein gelbes Blatt zu sehen ist, wir kriegen<br />

auch mal ein graues Haar.“<br />

7. Mai<br />

Zudem waren die Berichte zu hören über den Rücktritt von<br />

Bundeskanzler Brandt. Das erfolgte wie ein greller Blitzschlag,<br />

der für viele Länder aufschreckend gekommen ist. Es ist so wi-<br />

derwärtig, zu wissen, daß ein Schurkenstreich diese Änderung<br />

bewirkte. 3 Es wäre zu lernen, die Bedeutung eines großen ein-<br />

zelnen Mannes gegenüber der Masse richtig einzuschätzen.<br />

Vielleicht werden die Wühlmäuse, die sich hier betätigten, erst<br />

2 Alexander Solshenizyn, Der Archipel GULag, Bern, München 1973. Dokumentation<br />

über die sowjetischen Straflager.<br />

3 Der persönliche Referent Brandts, Günter Guillaume (1927–1995), entpuppte sich<br />

als Spion der DDR.

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