Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1972 Goethe als Wirtschaftskraft<br />
Beispiel mit Freuden aufgenommen. Er schrieb eine psycho-<br />
logische Analyse zu dem Thema: „Versprechen, verlesen, ver-<br />
schreiben“ 5 . Leider hab ich diese Arbeit nicht. Ich las sie etwa<br />
vor 50 Jahren in einem Exemplar der Landesbibliothek. Auch<br />
die Fehlhandlungen verlaufen irgendwelchen psychischen Leit-<br />
linien gemäß.<br />
23. Februar<br />
„Verwirrte Rede zu verwirrtem Handeln erfüllt die Welt“ 6 , so<br />
lautet ein Satz <strong>aus</strong> dem letzten <strong>Briefe</strong>, den Goethe fünf Tage<br />
vor seinem Tode an Wilhelm von Humboldt schrieb. Daß dies<br />
so lange dauern werde, hat er vielleicht bereits geahnt. Ob er<br />
sich allerdings die babylonische Sprachverwirrung schon so<br />
vorstellen konnte, wie man sie heute erlebt – das wage ich zu<br />
bezweifeln. Es ist doch erstaunlich, welche Erfindungskraft sich<br />
im Erfinden von Vokabeln und Phrasen offenbart, die die Wirk-<br />
lichkeit verschleiern und vollkommen nichts enthalten. Klares<br />
Denken wird dabei vollständig in Nebel gehüllt.<br />
24. Februar<br />
Heute kam das Goethe-Jahrbuch für das Jahr 1971 mit dem<br />
Bericht über die letzte Hauptversammlung in der Pfingstwo-<br />
che, die mit der Aufführung von „Jery und Bätely“ in Tiefurt en-<br />
dete, die Du doch gesehen und gehört hast. Es ist das letzte,<br />
das Wachsmuths Einfluß noch zeigt – was ich wenigstens hoffe.<br />
Denn gelesen hab ich nur das Inhaltsverzeichnis. Du wirst wohl<br />
den Bericht über die Versammlung mit dem vergleichen können,<br />
was Du selbst in Weimar erlebt hast. Interessant ist stets am<br />
Ende des Bandes die Bibliographie: wo und in welchen Spra-<br />
5 Sigmund Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens (Über Vergessen, Verspre-<br />
chen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum), Berlin 1904.<br />
6 „Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handeln waltet über die Welt.“ Brief vom 17.<br />
März 1832.<br />
chen sind Goethe-Ausgaben oder Schriften, die sich mit ihm be-<br />
fassen, erschienen. Für den flüchtigen „Durchblätterer“ des Bu-<br />
ches ist das vielleicht nicht so wichtig. Aber man bedenke, wie<br />
viele verschiedene Sprachen bringen Übersetzungen! Dort müs-<br />
sen also Leute sein, die sich für Goethe interessieren, denn das<br />
übersetzen und das Drucken dieser Werke kostet einiges Geld,<br />
das doch wieder durch erwartete Käufer hereinkommen muß.<br />
Rechne die Papierfabriken dazu, die Setzer, Drucker, Buchbin-<br />
der, Buchhändler, Maschinenhersteller, Transportarbeiter – und<br />
Du siehst eine recht ansehnliche Menschenmenge am Werke,<br />
die heute noch von Goethe ihren Lebensunterhalt erwerben.<br />
Es ist gut, sich dies mal anschaulich deutlich zu machen. Wer<br />
dem ganz genau nachforschen könnte, dürfte ein Buch schrei-<br />
ben können über „Goethe als Wirtschaftskraft“. Das klingt zwar<br />
recht trocken, aber hier zeigt sich die Kraft der Idee und ihre<br />
Wirkung in die wirtschaftliche, ganz materielle Welt. Und ob<br />
das in socialistischen oder kapitalistischen Ländern geschieht,<br />
ist gleichgiltig: denn überall muß für geleistete Arbeit der Lohn<br />
bezahlt werden. Ob ein Staatsverlag oder private Verleger die<br />
Kosten berechnen und die Gewinne einstecken, ist dabei ne-<br />
bensächlich. Jedenfalls kommen hunderte von Familien zusam-<br />
men, die in den verschiedenen Ländern von Goethe und der<br />
Verbreitung seiner Werke leben können.<br />
28. Februar<br />
Der Ausschnitt über den Lärm lag nicht in dem <strong>Briefe</strong>. Dazu<br />
hat Schopenhauer 7 vor mehr als hundert Jahren sich sehr an-<br />
schaulich vernehmen lassen. Er konnte damals noch keine Vor-<br />
stellung davon haben, was auf diesem Gebiete von Reizer-<br />
scheinungen alles möglich und wirklich geworden ist. Wie hat<br />
er sich über das Peitschenknallen der Kutscher aufgeregt! Das<br />
7 <strong>Arthur</strong> Schopenhauer, Über Lärm und Geräusch.<br />
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