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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1961 Kühlschränke?<br />

goldnen Hinweisen verbindet er eine Warnung vor der „jetzti-<br />

gen“ (1870!) Literatur und dem Zeitunglesen. Wenn er geahnt<br />

hätte, daß mal die Zeitung das Studium der Alten ersetzen und<br />

verdrängen würde. Der Satz vom Ganz-durchlesen gilt natürlich<br />

nicht nur für die antiken Autoren, er gilt auch für Goethe, Les-<br />

sing u.s.w. Es heißt Kräfte sammeln, wenn man jeden Tag einen<br />

Satz, ein Gedicht von Goethe <strong>aus</strong>wendig lernt, da man nie wis-<br />

sen kann, wann man mal von Büchern abgesperrt sein kann.<br />

So ein gelernter Satz kann wichtiger werden als eine Tüte ge-<br />

hamsterter Reis.<br />

7. September<br />

Gutes Gelingen wünsche ich zu dem „Bezirks<strong>aus</strong>scheid“ –<br />

obwohl mir solche Ringkämpfe genau so zuwider sind wie die<br />

der Boxer – ja wie die zwischen Sophokles und Euripides. Aber<br />

ich bin eben ein halber Mensch, dem für ein Wettrennen zwi-<br />

schen Schiller und Goethe alles Verständnis fehlt. Man mag<br />

also feststellen, wer das a a-iger anstreichen kann, eine Wur-<br />

zel wurzliger zieht, ein Buch schneller durchliest – na und? Was<br />

hat man davon? Hier siehst Du also wie mit zunehmendem Al-<br />

ter der Verstand schwindet.<br />

16. Oktober<br />

Sind bei der Besprechung, die Stups gehabt hat, noch gei-<br />

gende Talente aufgetreten oder war sie die einzige Geigerin.<br />

„Gewandh<strong>aus</strong>direktor?“ was heißt das, wer ist das? Ein Musi-<br />

ker – oder ein politischer Kapitän? Ich muß gestehen, ich lege<br />

auf diese Beurteilungen nicht den Wert, den man vielleicht die-<br />

sen Wettstreiten beimißt. Hauptsache bleibt, sie übt so gut als<br />

es die Zeit erlaubt und hat ihre Freude am Werke und nicht an<br />

den Lobsprüchen irgendwelcher Leute. Auch diese Berliner Ex-<br />

cursion ist mir halbwichtig. Da braucht niemand intrigiert zu<br />

haben. Es genügt schon, wenn jener Kapitän am politischen<br />

Akzent etwas zu bemängeln fand. Das sagt er kaum – aber er<br />

setzt dann die sachliche Leistung herab, weil er weiß, daß das<br />

viel mehr empfunden wird als die politische Kritik. Dabei will<br />

er sich auch nicht in die Karten gucken lassen. Arbeitet Ihr nur<br />

weiter bei der erprobten Lehrerin [Renate Schönert], geht zu<br />

den von Bosse 27 veranstalteten Sachen und laßt das „Auftre-<br />

ten“ mal etwas seltener werden. Musik lebt – wie alles Kultu-<br />

relle – in ihrem eigenen Reiche und darf nicht zum Knecht poli-<br />

tischer oder religiöser Machtansprüche erniedrigt werden. (Für<br />

diesen Satz kannst Du mich einsperren lassen.)<br />

18. Oktober<br />

Gestern war endlich wieder mal der Küchengeräteladen von<br />

[Frieda] Jahn in der Schloßstraße geöffnet. Der Mann ist we-<br />

gen Blutvergiftung im Krankenh<strong>aus</strong>e gewesen und noch nicht<br />

wieder im Laden, beinahe hätte man ihm ein Bein abgenom-<br />

men. „Kühlschränke?“ Ja, sagte die Frau, etwa in 3 ½ Jahren,<br />

über 250 Voranmeldungen, und im laufenden Jahre haben sie<br />

12 Stück gehabt. Und ein dreigliedriger Ausschuß entscheidet,<br />

wer einen kaufen darf, „damit es gerecht zugeht!“ Was ist da<br />

68 69<br />

zu tun?<br />

21. Oktober<br />

Im Traume schrieb ich Dir diese Nacht in einem französi-<br />

schen <strong>Briefe</strong> que je partirai pour Paris lundi prochain. Mon<br />

adresse: Paris, Bibliothèque Nationale (Inspection). J’y resterai<br />

jusque Pâques [daß ich nächsten Montag nach Paris fahre.<br />

Meine Adresse: Paris, Bibliothèque Nationale (Aufsicht). Ich<br />

bleibe bis Ostern]. Da hast Du es, vielleicht wird es aber doch<br />

nichts, denn daß ich dahin keinen Pass kriege, ist wohl klar,<br />

27 Gerhard Bosse (*1922), Geiger, Konzertmeister des Gewandh<strong>aus</strong>-Orchesters und<br />

Professor an der Hochschule für Musik in Leipzig.

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